Der Boden war steinhart und kalt, als ich vor vielen, vielen Jahren mit dem damaligen Mädchen meiner Träume unter der Schultreppe saß und meinen ersten Kuss bekam. In diesem Moment des Glücks rechnete ich mir aus, wie viele Jahre es noch dauern würde, bis wir beide endlich heiraten könnten.
Steinhart und kalt war später auch die Landung in der Realität. Ich bekam den Laufpass, ausgerechnet am Valentinstag. Es würde einfach nicht funktionieren, aber man könne ja weiter befreundet bleiben. Irgendwann sagte sie den Satz: „Ich habe lange nichts gesagt, aber mir ist es peinlich, dass jeder in der Schule das mit Dir und dem Glauben weiß und darüber redet.“
Peinlicher Prophet
Was habe ich getan? Stand ich in der Aula auf einer Holzkiste und habe „Kehrt um!“ gebrüllt? Nein (soweit ich weiß). Denke ich aber heute an die Schulzeit zurück, bin ich teilweise peinlich berührt davon, wie ich damals versucht habe, Zeugnis von meinem Glauben zu geben.
Einmal sagte ich dem Religionslehrer, er sollte lieber Erdkunde lehren, wenn er sich nicht sicher ist, ob Jesus Wunder gewirkt hat. Bei einem Vorlesewettbewerb dachte ich, ich könnte den atheistischen Deutschlehrer bekehren, indem ich die Bekehrung des Paulus aus der Bibel vorlese. Und wie ich damals rumgelaufen bin!
Heute mache ich mir selbst etwas vor und behaupte, ich hätte mich geändert. Ich wäre jetzt seriös. Dann laufen mir Leute über den Weg, die für den Glauben werben wollen und sich dabei so anstellen, dass man am liebsten die Hände über den Kopf zusammenschlagen will. Ich nenne sie die „peinlichen Propheten“.
Strenger Geruch
Wenn Sie sich in Ihrem Umfeld umsehen, dann erkennen Sie diese peinlichen Propheten sofort. Manchmal kann man sie schon Kilometer gegen den Wind riechen (und das meine ich durchaus wörtlich). Manche sind extravagant gekleidet oder haben ein äußeres Erscheinungsbild, das die (durchaus richtige) Botschaft herausschreit: „Gott liebt mich, egal, wie ich aussehe!“
Peinliche Propheten machen „unangebrachte“ Bemerkungen, können völlig vergeistigt-frömmlerisch sein, oder ein bisschen trampelig-vulgär. Immer sind sie jedoch ein bisschen paranoid. Bei ihnen ist die Grenze zwischen „positiv verrückt“ und „einfach nur bekloppt“ fließend. Wie bei mir. Entscheidend ist: Warum bin ich so? Mache ich das aus Liebe oder aus Paranoia? Liegt mir wirklich das Evangelium am Herzen oder will ich einfach nur Recht haben? Verzehrt mich der Eifer für Sein Haus – oder mein Geltungsdrang?
Salz der Erde
Ich glaube, die Kirche braucht diese peinlichen Propheten. Menschen, die so sehr „Salz der Erde“ sind, dass sie selbiges auch in die Wunden streuen. Die bequem gewordenen Couch-Christen aus der Lethargie reißen und sich – gelegen oder ungelegen – bei Themen zu Wort melden, wo Bischöfe und Kirchenangestellte lieber „diplomatisch“ schweigen. Menschen, die mit Gott ringen und stellvertretend für uns feilschen, so wie einst Abraham für Sodom in die Bresche sprang: „Mein Herr zürne nicht, wenn ich nur noch einmal das Wort ergreife. Vielleicht finden sich dort nur zehn Gerechte. Willst du auch die Gerechten mit den Ruchlosen wegraffen?“
Jeder von uns ist dazu berufen, für sein Umfeld Apostel und Prophet zu sein. Jeder auf seine Art. Ich denke dabei an die sagenhafte Film-Trilogie zu „Der Hobbit“, in der der weise Gandalf einen bedeutenden Satz sagt:
„Ich finde, es sind die kleinen Dinge. Alltägliche Taten von gewöhnlichen Leuten, die die Dunkelheit auf Abstand halten. Einfache Taten aus Güte und Liebe.“
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