Liebe Leserinnen und Leser,
„Wer hat dir das erlaubt?“ – Die Frage der Hohenpriester wirkt erstaunlich modern. Auch wir richten Gottes Wirken manchmal nach unseren eigenen Kategorien ein und wundern uns, wenn Jesus nicht in unsere Ordnung passt. Der heutige Impuls erinnert daran, dass Gott nicht verwaltet werden will, sondern handeln möchte, auch in unserem Leben. Die Anbetung der Könige bei Hugo van der Goes zeigt diese Zumutung eindrücklich: Vor dem Kind knien Menschen, deren Welt sich gerade aus den Angeln hebt.
Einen gesegneten Adventstag,
Ihre Franziska Harter
Chefredakteurin
MIT DER BIBEL DURCH DEN ADVENT
Tageslesungen:
Num 24,2–7.15–17a
Mt 21,23–27
Wer hat dir das erlaubt?
Auch wir müssen uns fragen, ob wir Jesus erlauben, dass er in unserer Welt wirkt Von Christoph Weiss
Die Frage, die die Hohepriester und die Ältesten stellen, klingt bürokratisch: In welcher Vollmacht tust du das, und wer hat dir diese Vollmacht gegeben? Etwas salopp zusammengefasst: Wer hat dir das erlaubt?
Klar, dieser Jesus – dass er etwas tut und was er tut – passt nicht in das System der religiösen Elite. Das betrifft nicht nur die unmittelbar diesem Dialog vorausgehenden Ereignisse in Matthäus 21 – den bejubelten Einzug in die Stadt Jerusalem, die radikale Reinigung des Tempels und die Verfluchung des früchtelosen Feigenbaums –, sondern das Wirken Jesu insgesamt, sein Verändern des Lebens von Menschen.
Gott sendet seinen Sohn in diese Welt. Nicht nur zum Besichtigen, zum Besprechen, zum Bestätigen, sondern: um in dieser – in unserer – Welt mit Vollmacht zu wirken. Gottes Sohn handelt. Gottes Sohn greift ein. Gottes Sohn wirkt. Erfahrbar für so viele Menschen. Für die religiösen Eliten scheint es undenkbar und unvorstellbar, dass Gott in diese Welt kommt und in dieser Welt wirkt. Sie verwalten Religion nach ihren Maßstäben. Gott hat da wenig Raum, wenig Platz. Umso vehementer hinterfragen sie das Wirken Jesu – selbst aber wollen sie nicht hinterfragt werden und verweigern eine Antwort auf eine einfache Frage.
Hier auch zum Anhören:
Die wichtigste Frage stellen sich die Hohepriester und Ältesten indirekt selbst: Warum habt ihr dann nicht geglaubt? Sie fragen nicht, um glauben zu können, sondern um nicht glauben zu „müssen“. Letztlich setzen sie Gott Schranken. Wer hat dir das erlaubt? Erlauben wir Jesus, dass er in unserer Welt wirkt? Erlaube ich Jesus, dass er in meiner Welt, in meinem Leben wirkt? Glaube ich, dass er auch hier und heute wirkt?
Der Autor ist Generalvikar im Bistum St. Pölten.
WEIHNACHTEN IM BILD

„Anbetung der Könige“
Hugo van der Goes stößt mit seinem um 1475 entstandenen Altarbild die Tür zur Neuzeit auf Von Rocco Thiede
Die Gemäldegalerie in Berlin beherbergt viele Schätze, aber kaum eines ihrer Werke entfaltet so viel geistige Wucht wie die Mitteltafel des Montforte-Altars von Hugo van der Goes. Die „Anbetung der Könige“ steht da wie ein stiller Brennpunkt zwischen Himmel und Erde. Wer den Saal betritt, spürt unweigerlich die gleiche Spannung, die dem gesamten Werk des flämischen Meisters eingeschrieben ist: Schmerz und Seligkeit, nah beieinander, fast wie zwei Atemzüge aus derselben Brust.
Das Triptychon selbst ist nicht vollständig erhalten, doch die Mitteltafel genügt, um den Besucher regelrecht hineinzuziehen in diese seltsame Mischung aus Majestät und Verletzlichkeit. Maria hält das Christkind wie ein zerbrechliches Licht, das gerade erst in die Welt gefallen ist, und die drei Weisen knien vor ihr, als wüssten sie, dass ihre Geschenke am Ende kaum reichen werden gegen das Schicksal, das diesem Kind bevorsteht. Van der Goes malt diese Szene nicht als höfische Inszenierung, sondern als spirituelle Erschütterung. Die Figuren tragen Züge echter Menschen, ihrer Müdigkeit, ihrer Hoffnungen, ihres unausgesprochenen Wissens um die Zerbrechlichkeit des Lebens.
Es ist bezeichnend, dass dieser Künstler, der zu den bedeutendsten der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zählt und dennoch nie früher eine große monografische Ausstellung erhalten hatte, gerade hier in Berlin mit mehreren Hauptwerken vertreten ist. Der Montforte-Altar gehört zu den monumentalen Tafeln, die die Gemäldegalerie in mühseliger Restaurierung wieder zum Strahlen gebracht hat. In der Farbigkeit lodert etwas, das van der Goes’ Zeitgenossen fast unheimlich erschien. Das Rot der Mäntel, das Gold der Gefäße, das Blau des Himmels wirken nicht dekorativ, sondern wie emotionale Register. Man sieht, wie der Maler nicht nur darstellt, sondern deutet: Die Könige knien nicht vor einem Kind, sondern vor einer Verheißung, die ihnen selbst den Boden unter den Füßen verändert. Die Botschaft ist neuzeitlich, der Malstil verabschiedet das Mittelalter und weist in die Renaissance.
Wer religiös empfindet, bleibt vor diesem Bild länger stehen. Nicht, weil man hier eine idealisierte Krippenszene betrachtet, sondern weil man in den Gesichtern der Heiligen und der Umstehenden etwas zutiefst Menschliches erkennt. Van der Goes konnte Gefühle malen, als würde er sie mit einer Nadel in die Farbe ritzen. Die Demut der Weisen, die stille Klarheit Marias, die zarte Fragilität des Christkindes: all das wirkt, als sei es gerade erst geschehen.
Vielleicht hat diese Intensität mit dem Leben des Malers zu tun. Ein Künstler, der seine weltliche Karriere aufgab, um im Kloster zu leben, der später in eine seelische Krise stürzte, der zwischen Andacht und Abgrund schwankte. In der „Anbetung der Könige“ scheint davon der Schatten eines Wissens um die Tragik der Welt mitzuschwingen. Die Seligkeit des göttlichen Kindes ist nicht ohne den Schmerz der Inkarnation zu denken. Genau darin liegt die Kraft dieses Bildes: Es zeigt nicht eine Geschichte von damals, sondern die große Spannung, die jeden Glauben durchzieht.
Wer heute vor dem Montforte-Altarausschnitt steht, trifft nicht einfach auf ein historisches Artefakt. Man begegnet einem Werk, das den Blick prüft wie ein Spiegel. Und Berlin, so viel man über diese atheistische Hauptstadt seufzen kann, hat damit ein Bild, das selbst hartnäckigen Religionsskeptikern einen Moment echter Stille entlockt.
Der Autor schreibt als Historiker zu Themen aus Kunst und Kultur.
ADVENTLICHE KLÄNGE
„Träufelt, ihr Himmel, von oben“
Der barocke Komponist Johann Philipp Förtsch bezieht sich auf den Propheten Jesaja und verbindet ihn mit der Botschaft des Advents Von Henry C. Brinker
Johann Philipp Förtschs Vertonung von „Träufelt, ihr Himmel, von oben“ gehört zur Adventsfrömmigkeit des späten 17. Jahrhunderts, die Bibelwort, Affektkunst und kunstvolle Satztechnik zu einer innigen Erwartungsmusik verbindet. Förtsch, Hofkapellmeister in Hamburg und stilistisch im Umfeld von Reincken und Buxtehude zu verorten, fasst den alttestamentlichen Ruf aus Jes 45,8 – Rorate caeli – in eine zeittypisch empfindsame, zugleich rhetorisch streng geformte Klangkomposition.
Musikalisch eröffnet das Stück meist mit einer weich fallenden Geste: Die Oberstimme zeichnet klangliche Seufzer, die hörbar wie herabbröckelnde Tropfen wirken. Förtsch setzt sie über einen ruhigen Generalbass, der die Bedrücktheit des wartenden Volkes Israel hörbar macht. Die Moll-Harmonik wird gelegentlich durchzogen von zarten Dur-Aufhellungen, als Vorschein der kommenden Erlösung. Charakteristisch sind kurze imitatorische Einsätze zwischen den Stimmen, ein Echo der damals weit verbreiteten norddeutschen Kontrapunktkunst. – Doch das Stück bleibt stets transparent durchhörbar, beinahe kammermusikalisch.
Inhaltlich kreist die Komposition um die doppelte Bewegung des Advents: den sehnsuchtsvollen Ruf nach göttlichem Eingreifen und die um sich greifende Vergewisserung, dass dieses Kommen schon begonnen hat. Förtsch akzentuiert die Bittrufe „Träufelt“ und „Gerechtigkeit“ mit drängenden Vorhalten und chromatischen Linien, wodurch die existenzielle Spannung zwischen Mangel und Verheißung betont wird. Die Textworte erhalten jeweils eigene Klangzuweisungen: „Eröffne dich, Erde“ erscheint in breiter Intervallik, während „Heil“ in ruhigen, haltenden Tönen ausklingt.
Der Gesamteindruck ist der einer fein gemalten Adventsminiatur: kein festliches Prunkstück, sondern eine demutsvolle Erwartung. Förtsch zeigt, wie das barocke Wort-Ton-Prinzip im liturgischen Kontext zu eindringlicher Predigtmusik wird. Sein „Träufelt, ihr Himmel, von oben“ lädt ein, Gottes Gerechtigkeit als Geschenk von oben zu empfangen, segnende, unverdiente Tautropfen göttlicher Gnade.
Der Autor ist Feuilletonist der Tagespost.
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