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Pizzaballa: Kirche wird Probleme im Heiligen Land nicht lösen

Der Lateinische Patriarch berichtet bei der DBK-Vollversammlung von der Lage in Nahost. Christen müssten trotz Polarisierung auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Frieden beharren.
Kardinal Pizzaballa
Foto: IMAGO/Stefano Carofei / Avalon (www.imago-images.de) | Statt sich der Bitterkeit und dem Hass zu überlassen, sollen die Menschen auch an ihre eigene Bekehrung denken, fordert Kardinal Pizzaballa.

Der Lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa, hat bei einer Pressekonferenz im Rahmen der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) in Fulda von den „schrecklichen Folgen“ des Krieges in Nahost gesprochen. Laut dem Franziskaner ist die Region seit dem 7. Oktober 2023 in einen Strudel der beispiellosen Gewalt geraten. „Die israelische und die palästinensische Bevölkerung sind zunehmend gespalten“, so der Patriarch laut einem schriftlich zur Verfügung gestellten Redemanuskript. „Die politische Führung ist in beiden Lagern umstritten und das Misstrauen zwischen ihnen wächst.“ Anstatt dass ein Ende des Krieges absehbar sei, sehe es vielmehr nach einer Eskalation aus.

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Für die Kirche sei der Blick in die Zukunft besorgniserregend. „Der Krieg wird irgendwann vorbei sein“, so Pizzaballa in der Pressekonferenz. Doch dürfte sich der Prozess der Heilung bei dem Misstrauen, das die beiden Völker einander entgegenbringen, schwierig gestalten. Vielerorts herrsche zwar keine Verzweiflung, aber ein Gefühl der Frustration und Hoffnungslosigkeit. Pizzaballa wies auf die schwierige humanitäre Lage hin, die sich aus der zerstörten Infrastruktur ergebe: Es fehle an Nahrung sowie sanitärer und medizinischer Versorgung. Das Wegbrechen von Pilgern habe außerdem zu einer hohen Arbeitslosigkeit geführt. „Wer bezahlt den Preis für den Krieg?“, so Pizzaballa, „Es sind die Armen“. 

Krieg hat geistliche Dimension

Der Krieg habe auch den interreligiösen Dialog sehr erschwert, was Pizzaballa als sehr schmerzhaft für ihn persönlich bezeichnete. Es gebe viele Missverständnisse und keine Orte für Austausch. „Die derzeitige schwere Krise hat nicht nur die Aussicht auf Frieden und Vertrauen in kurzer Zeit zerstört, sondern auch den jahrelangen interreligiösen Dialog und den mühsamen Aufbau von Beziehungen zwischen verschiedenen religiösen und sozialen Gemeinschaften zunichte gemacht“, beklagte der Lateinische Patriarch in seinem Statement.

Der Krieg habe auch eine spirituelle Dimension, so Pizzaballa weiter. „Ich frage mich, ob ich in meinen Handlungen und Worten eher Gott fürchte oder die Reaktion der Menschen, der Politiker, der Medien.“ Der Glaube müsse auch aufrütteln und stören. Er müsse den Geist dazu bringen, den gegenwärtigen Augenblick zu überschreiten und die Grenzen des Verstandes und des Herzens zu öffnen, um darüber hinauszugehen. Der Krieg bedeute einen Wendepunkt zwischen Christen, Muslimen und Juden. „Die jüdische Welt fühlte sich von den Christen nicht unterstützt. Die Christen hingegen, die wie immer über alles geteilter Meinung und nicht in der Lage sind, ein gemeinsames Wort zu finden, standen abseits, waren sich nicht einig, ob sie die eine oder die andere Seite unterstützen sollten, oder sie waren unsicher und verwirrt. Die Muslime fühlen sich angegriffen... Kurz gesagt, nach Jahren des interreligiösen Dialogs verstehen wir einander nicht“, so der Patriarch in seinem Statement.

Kirche muss Worte der Wahrheit sprechen

Die Kirche sei nicht nur für humanitäre Hilfe verantwortlich, sondern auch dafür, „Worte der Wahrheit“ zu sprechen, die Dinge so zu benennen, wie sie sind. Palästinenser und Israelis hätten zwei getrennte Narrative. Jeder fühle sich als „einziges Opfer dieses Tsunami des Hasses“, so der Patriarch. Es sei nicht leicht, „eine inklusive Sprache“ zu finden. Pizzaballa regte dennoch an, in der Öffentlichkeit und im Privaten, in den Medien, in Synagogen, Kirchen und Moscheen mutig Worte zu benutzen, die Horizonte öffnen und keinen Vorwand für Gewalt und Ablehnung bieten. Er rief dazu auf, in der Sprache die „Tendenz zu Hass und Misstrauen zu begrenzen, die in den Medien oft leichtfertig um sich greift“.

Doch es sei die Berufung der Christen, daran zu erinnern, dass die Zukunft nicht im Streit liege, sondern in Gerechtigkeit und Frieden. Man müsse daran arbeiten, zumindest in der Nähe des anderen zu leben, wenn auch nicht in Gemeinschaft. „Die Kirche wird die großen politischen Probleme des Nahen Ostens und des Heiligen Landes nicht lösen können“, so Pizzaballa. Sie werde aber im Heiligen Land bleiben, „ein Wort der Wahrheit und der Versöhnung sprechen und allen Menschen Hilfe und Nähe zukommen lassen“. DT/sdu

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