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Mit rauem Charme

Eine persönliche Erinnerung an Wanda Półtawska.
Wanda Półtawska im Alter von 101 Jahren verstorben
Foto: imago stock&people | Am 17. Februar 1941 hatte Wanda Półtawskas Leben eine schicksalhafte Wendung genommen: Die junge Widerstandskämpferin aus Lublin war von den Nazis verhaftet und in einem Gefängnis ihrer Geburtsstadt zusammen mit ...

Der Beruf des Journalisten bringt es mit sich, dass man Menschen begegnet, Interviews führt. Manche vergisst man, andere prägen sich ein, tief ein. Zur letzten Kategorie gehört für mich die Begegnung mit Wanda Półtawska, der Psychiaterin und langjährigen Vertrauten von Johannes Paul II., die in der vergangenen Nacht im Alter von 101 Jahren gestorben ist.

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Im Frühjahr 2020, als gerade die Pandemie zahlreiche Leben hinwegraffte, traf ich sie in ihrer Wohnung am Hauptmarkt in Krakau. Obwohl sie neben Italienisch auch perfekt Deutsch sprach, machte sie schnell klar, dass das Gespräch auf Polnisch geführt werden würde. Wozu sie als Gastgeberin alles Recht der Welt hatte – und natürlich auch vor dem Hintergrund ihrer Biographie: 

Beim Sterben des Papstes war sie dabei

Am 17. Februar 1941 hatte ihr Leben eine schicksalhafte Wendung genommen: die junge Widerstandskämpferin aus Lublin war von den Nazis verhaftet und in einem Gefängnis ihrer Geburtsstadt zusammen mit anderen polnischen Widerstandskämpferinnen gefoltert worden. Bald darauf brachte man sie in das KZ Ravensbrück, wo Wanda Półtawska grausamen medizinischen Experimenten der Nazis unterworfen war. Sie berichtet davon in dem auch auf Deutsch erschienenen, sehr berührenden Buch „Und ich fürchte meine Träume“ (Fe-Medienverlag).

In Krakau sprachen wir vor allem über den Mann, der ihr Leben – neben ihrem Ehemann – am meisten geformt hatte: Papst Johannes Paul II. alias Karol Wojtyła. Ganz beiläufig berichtete sie, die beim Sterben des Papstes dabei war, von seinen letzten Worten: „Der Welt fehlt es an Weisheit“ (światu brakuje mądrości). Ein Satz, der nichts an Aktualität verloren hat.

Dann erläuterte sie Schlüsselbegriffe des Denkens von Wojtyła: Weisheit (mądrość), natürlich.  Ebenso wie Wahrheit (prawda) und Selbsteigentum (Samoposiadanie, Samopanowanie). Schließlich: die innere Erfahrung des Guten, innerer Jubel (uniesieńie). 

Für jeden hatte sie Zeit, besonders für die jungen Menschen

Wanda Półtawska hat selbst bis zum letzten Atemzug diese Werte gelebt und authentisch verkörpert. Während wir sprachen, klingelte mehrmals das Telefon. Normale Menschen, junge Menschen riefen an, um sich bei ihr Rat zu holen, vorbeizuschauen. 

Für jeden hatte sie Zeit, besonders für die jungen Menschen. Die neueste Generation. Die Zukunft. „Sagen Sie den jungen Deutschen, dass sie Schätze im Himmel sammeln sollen“, mahnte sie mich, mit schon ganz vom Krebs entstelltem Gesicht, doch kräftiger Stimme in Anlehnung an das Evangelium. „Schätze, die nicht von der Gestapo oder anderen geklaut oder zerstört werden können.“

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Später, als ich ihr den Artikel, der am 14. Mai 2020 in der „Tagespost“ erschien, mit der Post zur Autorisierung zugeschickt hatte, rief sie mich an, um mir ihre Zustimmung mitzuteilen. Sie erkundigte sich nach meiner Anschrift, weil sie etwas für mich hätte. Bald darauf war ein Film über ihr Leben und Leiden im Briefkasten und ein Vortrag, den sie über posttraumatische Störungen bei Kindern mit KZ-Erfahrung gehalten hatte. Dazu eine Ausgabe ihres Buches „Und ich fürchte meine Träume“.

Als ich bei ihr anrief, um mich für die Geschenke zu bedanken, sagte sie mit ihrem rauen Charme: „Wenn Sie das nächste Mal in Krakau sind – Sie wissen, wo ich wohne.“

Krakau ist um einen magnetischen Ort reicher geworden

Dafür ist es nun zu spät. Aber als jemand, der gerne Friedhöfe besucht, ist Krakau nun um einen magnetischen Ort reicher geworden.  

Ein bisschen traurig macht mich, dass Wanda Półtawskas letzter Wille sich nicht mehr ganz erfüllt hat: sie wollte, wie ich vom Verleger Bernhard Müller (Fe-Medienverlag), erfahren habe, solange leben, bis ihr Buch „Lernt einander lieben“ auf Deutsch erscheint. Müller, der erst kürzlich bei der Verstorbenen in Krakau zu Besuch war, sagt gegenüber dieser Zeitung, dass das Werk derzeit in der Druckerei in Warschau sei, also praktisch fertig ist. Nur sie selber könne es nun leider nicht mehr in den Händen halten.

Lernt einander lieben – ein schönes Motto. Nicht nur für Deutsche und Polen, sondern für die ganze Welt.

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