Niemand hat auf weltkirchlicher Ebene mehr getan für die Aufklärung von innerkirchlichen Missbrauchsfällen und die kirchliche Bestrafung der Täter als Joseph Ratzinger – zunächst als Präfekt der Glaubenskongregation, später als Papst Benedikt XVI. Das ist kein Geheimwissen, sondern für des Lesens Kundige (und Willige) leicht nachzuvollziehen: Nicht nur, aber gut zusammengefasst etwa in der brillanten Benedikt-Biografie von Peter Seewald (Seiten 929 bis 948), auf www.die-tagespost.de oder in der am Donnerstag erscheinenden Ausgabe der „Tagespost“ (Seiten 11 und 19).
Lange eingeübte Feindseligkeit
Warum derzeit dennoch alle Pfeile nach Rom fliegen, hat mit der Prominenz des emeritierten Papstes zu tun, aber auch mit der in deutschen Landen seit Jahrzehnten eingeübten und tradierten Feindseligkeit gegen Joseph Ratzinger, gegen seine Person, seine Theologie, seinen Blick auf Kirche und Welt.
Selbst in der Anwaltskanzlei, die das Münchner Missbrauchsgutachten präsentierte, dürfte man sich die Augen reiben angesichts der Nachrichtenlage und öffentlichen Debatte: Da werden die Münchner Jahre von 1982 bis heute wie auch das Leid der Missbrauchs-Opfer nahezu zur Fußnote degradiert, während Medien, Theologen und leider sogar Bischöfe sich überhitzt daran abarbeiten, ob eine Fehlerinnerung an eine Sitzung vor 42 Jahren als Irrtum durchgeht oder als Lüge und Falschaussage zu geißeln ist!
Jeder muss Rechenschaft ablegen
Wer die Beziehung des deutschen Episkopats zu Benedikt XVI. schon länger beobachtet, kann nicht überrascht sein, dass nun auch einige deutsche Bischöfe sich am populistischen Halali gegen den greisen Emeritus beteiligen. Der Sündenbock-Reflex scheint allzu menschlich, doch anständig oder gar nobel ist er nicht. „Sehe ein jeder zu, wie er das Gewicht des von ihm Getanen ertrage“, heißt es in Werner Bergengruens Roman „Der Großtyrann“. Das gilt auch für das in den vergangenen Tagen Gesagte und Geschriebene.
Kirchenmänner, die Joseph Ratzinger theologisch nie das Wasser reichen konnten, sich jetzt aber öffentlich zu Richtern über ihn und sein Lebenswerk aufschwingen, sollten wissen: Wer auf die Waage steigt, wird gewogen. Wer meint, ausgerechnet Benedikt XVI. Rügen oder Weisungen hinsichtlich des Umgangs mit dem Skandal des Missbrauchs erteilen zu dürfen, muss auch Rechenschaft ablegen, was er selbst geleistet hat.
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