Darf man jemanden beim Namen nennen, der eigentlich kurz vor der Damnatio memoriae steht? Diese Frage stellt sich im Fall des früheren Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen, gegen den vor gut drei Monaten Vorwürfe des schweren sexuellen Missbrauchs erhoben wurden. Sich verteidigen oder gar seine Schuld eingestehen und um Entschuldigung bitten kann der Bischof nicht mehr. Auch ein weltliches Gericht kann die Frage der Täterschaft nicht mehr ermitteln, mögliche Taten nicht mehr sühnen. Denn Janssen verstarb bereits 1988. Juristisch gesehen gilt die Unschuldsvermutung streng genommen auch über den Tod hinaus.
Wilmer ließ die Gruft verschließen
„Wer früher stirbt, ist länger tot“, so kommentierte der Berliner Strafrechtsprofessor Martin Heger einmal den Fall des (mutmaßlichen) ukrainischen Kriegsverbrechers John Demjanjuk, der während der Revision verstorben war. Die Frage, ob es auch eine moralische Unschuldsvermutung gibt, ist schon schwieriger zu beantworten. Ein Gutachten aus dem Jahr 2021 hatte Janssen zwar keine eigenen Missbrauchstaten, dafür aber Vertuschung attestiert. Im Bistum Hildesheim jedenfalls hält man die neueren Anschuldigungen – 2015 und 2018 waren schon einmal Vorwürfe des Missbrauchs laut geworden – für äußerst glaubwürdig.
Der amtierende Bischof Heiner Wilmer zeigte sich erschüttert ob der nun bekannt gewordenen Leidensgeschichten dreier Betroffener. Zumindest symbolisch will das Bistum nun handeln: Es wird geprüft, ob die Gebeine des Beschuldigten umgebettet werden können. Derzeit befinden sich die sterblichen Überreste Janssens in der Bischofsgruft des Hildesheimer Doms. Schon jetzt aber hat man in Bistum Maßnahmen ergriffen, um die innere Distanzierung vom – mutmaßlichen? – Missbrauchstäter auch nach außen hin überdeutlich werden zu lassen: Bischof Wilmer hat die Gruft nach Bekanntwerden der neuesten Vorwürfe durch eine Tür verschließen und eine Tafel aufstellen lassen, die die Besucher des Doms über die Vorwürfe gegen Janssen in Kenntnis setzt. DT/sost
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