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Krippenbetreuung: Stresstest für Kleinstkinder

Geht es um die Frage der Fremdbetreuung von Kindern, stehen oft ökonomische Erwägungen im Vordergrund, nicht das Kindeswohl. Dabei stellen Studien eine erhöhte Stressbelastung bei Kindern fest.
Außerhäusliche Kinderbetreuung wird forciert
Foto: Christian Charisius (dpa) | Die außerhäusliche Betreuung von Kleinstkindern wird ungeachtet der vorliegenden Studien sowohl in Österreich als auch in Deutschland von nahezu allen politisch relevanten Kräften forciert.

Ob und ab wann Kinder fremdbetreut werden sollen, ist seit Jahrzehnten heftig in der – oft ideologisch geführten – Diskussion. Oft geht es dabei mehr um ökonomische Erwägungen als um das Kindeswohl. Auch findet die theoretisch geführte Debatte meist fern der Realität statt, der Hunderttausende von Familien und Kindern tagtäglich gegenüberstehen. 

Chronisch zu hohe Stressbelastung

Fünf Tage in der Woche ganztags Kleinkinder in eine Kinderkrippe zu geben, bedeutet unendlichen Stress für diese. Auch wenn sich Kinder äußerlich vollkommen unauffällig verhalten, heißt das nicht, dass es ihnen psychisch gutgeht. Stress ist objektiv feststellbar, indem man den Spiegel des Stresshormons Cortisol im Speichel misst. Bereits 1998 wurde dies im Zuge der Day-Care-Cortisol-Studien in den USA untersucht. Die Studien kamen zum Ergebnis, dass selbst bei höchster Betreuungsqualität bei 75 Prozent, bei „nur“ gehobener Qualität sogar bei fast 100 Prozent der unter drei Jahre alten Kinder die Cortisolwerte erhöht waren.

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Diese Ergebnisse wurden 2006 durch die Metaanalyse von neun Studien der niederländischen Psychologen Harriet J. Vermeer und Marinus van IJzendoorn bestätigt. Man fand heraus, dass die Krippenbetreuung für die Mehrheit der Kinder einer hohen Anstrengung gleicht. Sie weisen eine chronisch zu hohe Stressbelastung auf, wie dieser etwa auch bei Spitzenmanagern zu finden ist. Die Langzeitfolgen einer zu hohen frühen Stressbelastung wurden im Rahmen der amerikanischen NICHD-Studie untersucht, die zu den folgenden Ergebnissen kam: Die zeitintensive Krippenbetreuung wirkt sich unabhängig von allen anderen Faktoren, die ein Kinderleben beeinflussen können, negativ auf die sozio-emotionale Kompetenz aus.

Außerhäusliche Betreuung wird forciert

Die außerhäusliche Betreuung von Kleinstkindern wird ungeachtet der vorliegenden Studien sowohl in Österreich als auch in Deutschland von nahezu allen politisch relevanten Kräften forciert. Gerade bei dem Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, bei dem Kinder(fremd)betreuung ein wesentlicher Faktor ist, besteht eine unheilige Allianz zwischen Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern. Beide wollen Frauen und Mütter möglichst bald nach der Geburt ihrer Kinder wieder am Arbeitsmarkt sehen, die einen aus vermeintlich emanzipatorischen Gründen, die anderen, weil Frauen am Arbeitsmarkt einfach gebraucht werden.

Die Vereinbarkeit oder wie es so schön „neudeutsch“ heißt, die family-work balance stellt auf den Bedarf der Wirtschaft ab, treibt Frauen und Mütter in eine kaum zu bewältigende Dreifachbelastung und vergisst das Wohl und die Bedürfnisse unserer Kinder. Neue Lösungsansätze sind dringend gefragt.

In einer dreiteiligen Serie zur Kinderbetreuung analysiert Alice Pitzinger den Stand der Bindungsforschung und die Situation in Deutschland und Österreich und zeigt mögliche Alternativen zur staatlichen Krippenbetreuung auf. Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost den ersten Teil der Serie.

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