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Eberhard Aurich zieht eine kritische Bilanz über die DDR

Eberhard Aurich, einst 1. Sekretär des FDJ-Zentralrats, zieht eine kritische Bilanz über die DDR. Im Umfeld einer katholischen Gemeinde in Berlin kümmert er sich heute um Randgruppen.
Eberhard Aurich
Foto: Ralf Drescher | Sozial engagiert für Menschen in Not: Eberhard Aurich.

Heute sind ihm die Bilder unangenehm, und sie zeigen, wie zwiespältig sein Verhältnis zur DDR mittlerweile ist. Noch im Mai 1989 gab Eberhard Aurich dem DDR-Fernsehen ein Interview, in dem er die Zusammenarbeit mit der SED in höchsten Tönen lobte. In bunten Farben malte der 1. Sekretär des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend (FDJ) darin die rote Diktatur im Osten Deutschlands; ein System, das schon wenige Monate später Geschichte war.

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31 Jahre später. Die Kulisse, vor der Eberhard Aurich einst sprach, ist geblieben. Allein die Umstände haben sich geändert. Längst ist die DDR Geschichte, und aus dem Berufsjugendlichen an der Seite Erich Honeckers ein Publizist und Rentner mit eigener Homepage geworden. Heute logiert an seinem früheren Amtssitz Unter den Linden das ZDF; im SED-Jargon der bourgeoise Feindsender schlechthin. Zusammen mit Gläubigen der katholischen Sankt Josefs-Pfarrei in Berlin Köpenick-Treptow kümmert sich Aurich seit einigen Jahren um Randgruppen, Arme, Alte und Ausgestoßene.

Linksbürgerlicher Atheist entdeckte Kirche

Katholisch und Sozialist? Bei Eberhard Aurich mutiert dieses scheinbare Gegensatzpaar zur Symbiose; der linksbürgerliche Atheist scheint das Gute in der Kirche entdeckt zu haben. Im Wortlaut hört sich das so an: Der „Umgang mit jungen Menschen“, „Erziehungsarbeit“ und Bildung seien ihm ins Blut gelegt, sagt der mittlerweile 74-Jährige am Telefon.

Hätte sich die DDR noch länger gehalten, wäre Aurich bei der Nachfolge von Egon Krenz im Amt des SED-Generalsekretärs wohl in die engere Wahl gekommen. Führungspositionen in der FDJ galten immer auch als Sprungbrett. Menschen aus seinem Umfeld beschreiben Aurich als „umgänglich“ und „nett“, als jemanden, mit dem „man reden kann“.

Weniger Glück bescherte ihm das im Privaten. Nach einer gescheiterten Ehe hat Aurich im erweiterten Umfeld der Gemeinde eine neue Aufgabe gefunden; eine, die ihn „fordert und ausfüllt“, etwa dann, wenn er Flüchtlingskindern Deutsch beibringt, also wieder in die Rolle des Lehrers schlüpft. In Sankt Josef wissen nicht alle um Aurichs Vergangenheit, nicht alle haben seinen Namen gegoogelt und nur ein paar in der Zeitung über sein Vorleben gelesen. Dennoch schätzen sie allesamt seine pädagogische Arbeit, also dass aus dem früheren SED-Kommunisten und systemkonformen Lehrer doch noch „ein ganz passabler Mensch geworden“ sei.

Es war der Anfang vom Ende

Einmal Lehrer, immer Lehrer? Nach seinem Diplom an der Pädagogischen Hochschule Zwickau im Sommer 1969 wechselte er zur FDJ, wo es der gebürtige Chemnitzer bis ganz nach oben schaffte; einer, der bei den Honeckers dinierte, mit Egon Krenz per Du war und sich mit Stasi-Minister Erich Mielke über den „Zustand der DDR-Jugend“ zankte. Aurich war, noch bevor er vor einer Klasse stand, zum Funktionär und Bürokraten der SED geworden. „Seinen Beruf als Lehrer hat er kaum ausgeübt“, sagt auch Matthias Wanitschke, katholischer Theologe und DDR-Historiker aus Erfurt. Aurich galt als linientreuer Parteigänger, an dem die Blauhemden zu Tausenden vorbeidefilierten. Er gehörte auch zur Nomenklatura, die Privilegien genoss, etwa Westreisen und ein monatliches Extragehalt als Staatsrat in Höhe von 1 500 Ostmark.

Ausführlich beschreibt Aurich in seinem 2019 erschienenen Buch „Zusammenbruch – Erinnerungen, Dokumente, Einsichten“ die letzten Tage der DDR, das einbrechende Chaos nach dem Sturz Erich Honeckers und wie seine FDJ am 24. November 1989 Geschichte war, auch wenn es den Verband mit geschätzten 150 Mitgliedern bis heute gibt. Erst im Frühjahr trafen sich in Zwickau einige Dutzend FDJler mit blauen Fahnen zu einer „Maikundgebung“; die kümmerlichen Überreste einer totalitären Massenorganisation, die einst die „Kampfreserve der Partei“ war.

„Uns drohten Laternenpfähle“

Spätestens im Dezember 1989 waren aus den Genossen von FDJ und SED Gehetzte geworden, über die die Zeitungen täglich Neues enthüllten. „Uns drohten Laternenpfähle“, so beschreibt Aurich die damalige Stimmung in der Bevölkerung. Auch er musste sich wegducken, umorientieren und hat am Ende immerhin noch eine Auszeichnung für die „geleistete Arbeit“ bekommen.

Und dennoch. 1989 ging auch für Eberhard Aurich das Leben weiter. Nach einer Umschulung arbeitete er als Geschäftsführer eines Verlages, der Unterrichtsmaterial für Kinder mit Lese- und Rechtschreibschwächen vertreibt. Bis zur Rente machte er diesen Job, und auch das Berliner Allende-Viertel, wo er 1981 in eine geräumige Neubauwohnung gezogen war, hat Aurich nicht mehr verlassen.

Der Politik kehrte er 1991 den Rücken, gab sein Parteibuch ab und zog sich ins Private zurück. In der Waldsiedlung Wandlitz, nördlich von Berlin, wo bis Ende 1989 die SED-Politbüroprominenz residierte, sei er nur „einmal bei Egon Krenz zu Besuch“ gewesen, berichtet Aurich. Reichlich Alkohol sei dort, wie er im Gespräch sagt, geflossen und dass ihm das Ganze „unangenehm“ gewesen sei. Heute habe er zu Krenz nur noch wenig Kontakt, sagt Aurich. Der letzte SED-Generalsekretär tingelt mit geschichtsklitternden Vorträgen durchs Land und wird – dessen ungeachtet – auch von seriösen TV-Sendern noch immer gern als Zeitzeuge gebucht.

Ein Anfang zur Wende ist gemacht

Immerhin. Bei der Lektüre seines Buches wird deutlich, dass sich Aurich tiefgründige Gedanken über die DDR, deren Defizite und auch über seine eigene Rolle darin gemacht hat. In weiten Teilen ähnelt das Buch einem inneren Monolog, einer zaghaften Lebensbeichte, die getragen wird von der alles bewegenden Frage: Wie hätten wir die DDR retten können?

Dass das SED-Regime nicht an Idealen, sondern an fehlender Legitimation durch freie Wahlen gescheitert ist, auch dazu findet sich in dem fast 400 Seiten starken Oeuvre kein Wort. Leider. „In weiten Teilen liest es sich wie eine Kaderakte, mit den immer gleichen Phrasen, Beschönigungen und Verharmlosungen“, resümiert die katholische Publizistin Jenny Krämer aus Potsdam. Und fügt hinzu, dass manche Lehrer eben eher dazu neigten, zu lehren, statt aus Fehlern zu lernen.

Immerhin: Ein Anfang zur Wende ist vielleicht doch gemacht. Sich um Arme, Alte und Ausgestoßene zu kümmern, könnte dafür ein schönes Zeichen sein.

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