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Der Ort der Auferstehung

Steht die Grabeskirche in Jerusalem auf historisch sicherem Grund? Von Michael Hesemann
Jerusalemer Grabeskirche
Foto: MH | Der Ort der Grablegung und der Auferstehung Jesu verdichten sich in der Jerusalemer Grabeskirche.

Sie ist der Dreh- und Angelpunkt der Weltgeschichte, ohne die, wie uns der heilige Paulus mahnt, „unsere Verkündigung leer (ist), leer auch euer Glaube.“ (1 Kor 15, 14). Doch trotzdem verraten uns die Evangelien recht wenig über den Ort der Auferstehung, dem leeren Grab, durch das die Fülle der Hoffnung offenbart wurde. „An dem Ort, wo er gekreuzigt worden war, befand sich ein Garten, und in dem Garten ein neues Grab, in dem noch niemand bestattet worden war“, weiß der Evangelist Johannes (Joh 19, 41). Es lag also in unmittelbarer Nähe des Hügels Golgota außerhalb der Stadtmauern Jerusalems, wie der Hebräerbrief (13,12) andeutet: „Darum hat auch Jesus … außerhalb des Tores gelitten.“

Wer heute nach Jerusalem kommt, ist zunächst einmal verwirrt. Denn wer sich auf den Weg zur Grabeskirche macht, zu jenem Ort, den Christen fast aller Konfessionen als Stätte des Todes und der Auferstehung Jesu verehren, muss sie mitten im Gewirr der Altstadt suchen: Innerhalb der Stadtmauern, innerhalb der Tore. Das hat den britischen General Gordon im 19. Jahrhundert so irritiert, dass er sich kurzerhand ein alternatives Jesusgrab und einen neuen Kalvarienberg suchte, gleich vor dem Damaskustor. Noch heute pilgern vor allem Anglikaner und Evangelikale zu „Gordon's Calvary“ und dem „Gartengrab“, auch wenn es nicht die geringste Chance auf historische Glaubwürdigkeit hat: Es stammt aus der Eisenzeit und war zur Zeit Jesu bereits Jahrhunderte alt.

Nur der Historiker weiß, dass die heutige Altstadt eben nicht die Grenzen der Stadt Jesu hat. Das Jerusalem des Neuen Testamentes hatten die Römer unter Titus 70 n. Chr. gründlich zerstört. Auf seinen Trümmern, mit einem völlig neuen Mauerverlauf, errichtete Kaiser Hadrian sechs Jahrzehnte später die heidnische Stadt Aelia Capitolina. Durch ihn wurden die heiligen Stätten der Juden und Christen paganisiert, auf dem Tempelberg ein Jupitertempel errichtet. Am heiligsten Ort der Christen, so berichtet uns Eusebius von Caesarea, ließ er das Westforum bauen, mit einem Aphroditetempel über dem leeren Grab und einer Statue der Göttin auf der Spitze des Golgota-Hügels, der aus der Terrasse der Anlage ragte. Erst Konstantin der Große, wieder laut Eusebius, ließ den Hadriansbau abreißen, um über ihm die Auferstehungskirche zu errichten. Wie ihm der Bischof von Jerusalem, Makarios, versprochen hatte, trat darunter tatsächlich die Felswand mit dem leeren Grab Jesu zutage. In einem Anfall von architektonischem Übereifer ließen die Baumeister des Kaisers so viel vom Felsen wegschlagen, dass gerade noch ein Würfel des Urgesteins mit der Grabkammer und ihrem Vorraum übrig blieb, der sich in kostbaren Marmor kleiden ließ. Über ihm wurde, getragen von zwölf mächtigen Säulen, der monumentalste Kuppelbau der Spätantike errichtet, inspiriert vom Pantheon in Rom. Golgota erhob sich aus einem benachbarten Innenhof, an den die „Martyrion-Basilika“ grenzte, errichtet über der alten Zisterne, in der, zumindest nach der Legende und der Aussage byzantinischer Chronisten, Konstantins Mutter Helena das „wahre Kreuz“ entdeckt hatte. Doch selbst von dem, was Konstantins Architekten vom Heiligen Grab übrig ließen, sieht man heute wenig. Ein muslimischer Fanatiker, der Kalif al-Hakim, ließ 1009 die Grabeskirche schleifen und das Heilige Grab, so hieß es, „bis auf einen Fuß Höhe“ wegmeißeln. Obwohl die Christen bald schon alles taten, um ihren heiligsten Ort zu rekonstruieren, blieb das Makel und führte zu Zweifeln.

Erst seit dem 19. Jahrhundert enthüllte die Archäologie immer neue Details, die die christliche Tradition plausibel erscheinen lassen. So kauften die Russen ein Grundstück neben der Grabeskirche und begannen 1859 mit umfangreichen Ausgrabungen, die bis 1883 andauerten. Dabei legten sie nicht nur den Aufgang zum hadrianischen Westforum frei und lieferten damit den archäologischen Nachweis für die Schilderung des Eusebius. Sie fanden auch eine Stadtmauer und ein Tor aus herodianischen Quadern. Spätere Funde belegten, dass sie Teil des Mauerverlaufs zur Zeit Jesu waren. Das Tor, das heute unter der russischen Alexander-Nevsky-Kirche besichtigt werden kann, scheint jenes zu sein, das der Hebräerbrief erwähnt. Es war zur Zeit Jesu als „Gartentor“ bekannt.

Auch andere Entdeckungen belegen, dass das Gelände der Grabeskirche zur Zeit Jesu außerhalb der Stadtmauer lag. Die Ausgrabungen unter der evangelischen Erlöserkirche gleich gegenüber förderten Überreste eines vorchristlichen Steinbruches zutage, der sich bis zum Golgota-Hügel – offenbar einem Stumpf unbrauchbarem Gesteins – erstreckte. In herodianischer Zeit hatte man das Gelände in einen Garten umgewandelt, in die Felswände waren Gräber geschlagen. Eines davon, heute unter der Grabeskirche, weist die typischen Stollen jüdischer Gräber des 1. Jahrhunderts auf, die der Zweitbestattung dienten. Beim Heiligen Grab fehlen sie; ein Beweis, dass es ein neues, bislang unbenutztes Grab war.

Erst 2016, bei Restaurierungsarbeiten in der Grabeskirche, wurde das leere Grab gründlich untersucht. Nach Entfernung seiner Marmorverkleidung kam heraus, dass doch mehr vom ursprünglichen Gestein übrig war, als man bislang dachte. Ein eigenes Sichtfenster erlaubt jetzt den Blick auf den ursprünglichen Fels, der bis in 1,70 m Höhe reicht. Als man am 26. Oktober 2016 die Marmorplatte der Grabbank entfernte, kam darunter eine zweite Platte aus der Kreuzfahrerzeit zum Vorschein und darunter – der nackte Kalkstein, die originale Grabbank aus der Zeit Jesu, die erstaunlich gut erhalten war. Ganz eben und so groß, dass man einen Menschen darauflegen konnte.

Zuvor hatten die Restauratoren Probleme mit ihren Messinstrumenten gehabt, sprachen sie von elektromagnetischen Störungen an der Stätte der Auferstehung. So bleibt sie doch ein Mysterium.

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