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Die „WPATH-Files“: Ärzte ohne Grenzen

Eine Reihe geleakter Dokumente enthüllt besorgniserregende Äußerungen aus den Reihen der führenden Trans-Aktivistengruppe WPATH.
Die „WPATH-Files“ bieten Einblick in interne Foren von Ärzten und Therapeuten, die Mitglieder der Trans-Aktivistengruppe sind.
Foto: sasirin via imago-images.de (www.imago-images.de) | Die „WPATH-Files“ bieten Einblick in interne Foren von Ärzten und Therapeuten, die Mitglieder der Trans-Aktivistengruppe sind.

 Environmental Progress“ ist mehr als nur eine Umwelt-NGO mit konservativem Flair. Vor Kurzem rückten sie, gemeinsam mit ihrem Gründer, dem Publizisten und ehemaligem Kandidaten für den Gouverneurssitz von Kalifornien, Michael Shellenberger, ins Scheinwerferlicht: Als die Gruppe, die die Tür hinter die Kulissen der „World Professional Association of Transgender Health“ (WPATH) öffnete und aus den offengelegten Skeletten scharfe Vorwürfe schmiedete. WPATH sei unethisch, unwissenschaftlich, unmedizinisch, intransparent. Die Basis für diese Anschuldigungen, die sogenannten „WPATH Files“, besteht aus Mitschnitten einer Online-Podiumsdiskussion sowie aus Beiträgen in internen WPATH-Foren, die konkrete medizinische Fälle besprechen. Alle Dokumente sind online zugänglich.

„Informiertes Einverständnis“ 

 WPATH unterstützt Pubertätsblocker, Hormontherapie und Operationen zur Geschlechtsumwandlung auch bei Minderjährigen – unter der Voraussetzung des „informierten Einverständnisses“. Das bedeutet, dass die Kinder wie die Eltern über die Risiken der Behandlungen informiert werden: Medizinische Nachsorge, eventuell ungewollte Wirkungen des gegengeschlechtlichen Hormons, bis zum Verlust der Fertilität. Dieses „informierte Einverständnis“ ist für WPATH die ethische Rechtfertigung für die Therapie.

Die WPATH Files zeigen allerdings, dass praktizierende Ärzte und Therapeuten, die Mitglieder von WPATH sind, nicht immer überzeugt sind, dass dieses „informierte Einverständnis“ bei Kindern realistisch ist. Laut dem kanadischen Endokrinologen Daniel Metzger seien Ärzte oft in der Situation, „solche Dinge Patienten zu erklären, die oft nicht mal Biologie in der Oberstufe hatten“. Auch erwachsene Patienten hätten oft wenig Einblick in die Effekte der Therapie. Metzger beschreibt, wie junge Patienten sich die Ergebnisse einer Hormontherapie aussuchen wollten. „Man kann keine tiefere Stimme bekommen, ohne ein bisschen Bartwuchs“, beschreibt Metzger seine Gespräche mit Patienten, „und man kann kein Östrogen nehmen, um sich etwas femininer zu fühlen, ohne dass man Brüste entwickelt“.  Metzger müsse seinen Patienten erklären: „Ihr seid vielleicht nicht binär, aber Hormone sind binär.“

Kinder können Folgen für Fruchtbarkeit nicht einschätzen

Dianne Berg, eine Kinderpsychologin, stimmte zu, dass man nicht erwarten könne, dass Kinder oder junge Erwachsene die Folgen der Therapien absehen könnten, weil es „außerhalb ihrer Entwicklungsstufe“ sei. Laut Environmental Progress diskutiere WPATH dies niemals öffentlich: „Modifizierungen der Geschlechtsmerkmale werden als altersgerecht dargestellt, als essenzielle medizinische Versorgung, und jeder Widerstand gegen solche Interventionen wird als Transphobie dargestellt.“ Berg fügt schließlich auch noch hinzu, dass selbst Eltern oft nicht das nötige Level an medizinischem Wissen haben, um die Folgen des Behandlungsprotokolls einzuschätzen. Dieser Zustand sei laut Berg „unethisch“.

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Kinder hätten besonders Schwierigkeiten, die eigene Fruchtbarkeit wertzuschätzen. „In der Theorie ist es immer gut, mit einem 14-Jährigen über Fruchtbarkeitserhaltung zu sprechen, aber ich weiß, dass ich gegen eine Wand rede“, so Metzger. „Sie reagieren mit Igitt, Kinder, Babys, eklig.“ Oft beriefen sich Minderjährige darauf, später adoptieren zu wollen, ohne richtig einschätzen zu können, wie schwierig es ist, zur Adoption zugelassen zu werden. „Oh, ich dachte, man geht einfach zum Waisenhaus und sie geben einem ein Baby“, gibt der Arzt die Haltung seiner minderjährigen Patienten wieder.

Keine Überraschung angesichts Patienten mit Kinderwunsch

Laut Environmental Progress „beweisen diese Kommentare, dass WPATH-Mitglieder sich darüber bewusst sind, dass die jungen Patienten, die ihre Fruchtbarkeit infolge einer gender-affirmativen Behandlung verlieren, nicht verstehen, was sie opfern“. Dies stehe in scharfem Kontrast zu WPATHs öffentlicher Position, die die Legitimität des „informierten Einverständnisses“ bekräftigt. Patientenberichte über „reproductive regret“, also die Trauer über den Verlust der eigenen Fruchtbarkeit, überraschen die Ärzte, so Metzger, nicht. „Jetzt, wo ich eine Menge Kinder in ihre Mittzwanziger begleite, merke ich, ,Oh, der Hund reicht jetzt nicht mehr?‘ Die Patienten sagen dann, ,Nein, ich habe diesen wundervollen Partner gefunden, und jetzt möchte ich Kinder‘“, referiert der Endokrinologe.

„Environmental Progress“ zitiert eine Studie niederländischer Forscher, die zeigte, dass 27 Prozent junger Patienten, die sich Pubertätsblocker, Hormontherapie und der Entfernung der Gonaden (Eierstöcke oder Hoden) unterzogen hatten, ihre Unfruchtbarkeit „lästig“ finden. Die Dunkelziffer ist womöglich höher, da die Formulierung offenbar nicht immer gleich interpretiert wurde. Elf Prozent waren sich unsicher. 44 Prozent der gebürtigen Frauen und 35 Prozent der gebürtigen Männer würden sich für die Erhaltung ihrer Fruchtbarkeit entscheiden. 56 Prozent der Teilnehmer haben entweder einen Kinderwunsch oder konnten diesen bereits erfüllen, vermutlich durch Adoption. Gleichzeitig deckte diese Studie nur knapp 50 Prozent der geeigneten Patienten ab, sodass laut Environmental Progress die tatsächliche Rate derer, die den Verlust ihrer Fruchtbarkeit bereuen, höher sein könnte. 

„Embodiment Goals“ 

 Um eine Therapie – also Blocker, Hormone oder eine Operation – zu erhalten, brauchen Patienten eine Diagnose, auch, damit die Versicherung die Kosten übernimmt. Bei der Diagnose empfiehlt WPATH Therapeuten und Ärzten, sich auf die „International Classification of Diseases (ICD-11)“ zu beziehen, statt den DSM-5. Die ICD-11 erkennt „Gender Inkongruenz“ an, der DSM-5 „Genderdysphorie“. Anders als der DSM-5 schätzt der ICD-11 die Diagnose als „Krankheit die sexuelle Gesundheit betreffend“ und nicht als psychische Erkrankung ein. Darüber hinaus verlangt der ICD-11 keinen Befund eines Leidensdrucks als Kriterium – es reicht, so Environmental Progress, eine gefühlte Inkongruenz zwischen dem biologischen Geschlecht und dem inneren Selbstgefühl, deren Behandlung dann eine medizinische Notwendigkeit darstellt.

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Damit hängt ein Begriff zusammen, der in den WPATH-Files immer wieder aufkommt. „Embodiment Goals“, etwa als „Verleiblichungsziele“ übersetzbar, sind die körperlichen Veränderungen, die ein Patient wünscht, weil sie seinem inneren Selbst mehr entsprechen. Anders als die klassische Geschlechtstransition berichten Therapeuten in den WPATH-Files mit einigem Zuspruch auch von „nicht-standardmäßigen Wünschen“ wie zum Beispiel Vaginoplastien mit Erhalt der männlichen Geschlechtsorgane, Brüste ohne Brustwarzen oder „Nullifizierungen“ – das Entfernen von eindeutig männlichen oder weiblichen Geschlechtsmerkmalen. „Bemerkenswerterweise fehlen in diesen Diskussionen jegliche ethischen Bedenken um Operationen, die gesunde Fortpflanzungsorgane zerstören, um maßgeschneiderte anatomische Eigenschaften zu kreieren, die in der Natur nicht vorkommen“, so „Environmental Progress“.

WPATHs Leitfaden für deutsche Leitlinien „nicht maßgeblich“

Die in den WPATH-Files heftig kritisierten „Standards of Care“ sind Teil des von der deutschen S3-Leitlinie als „State of the Art“ beschriebenen Ansatzes zur Behandlung von Transgender-Patienten. Das gibt einen Einblick in die medizinische Seriosität, die die „Standards of Care“ beanspruchen: Um als S3 eingestuft zu werden, muss eine Leitlinie „alle Elemente einer systematischen Entwicklung“ durchlaufen haben, so die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF), die die Entwicklung von Leitlinien in Deutschland koordiniert. Doch laut „Environmental Progress“ zeigen die WPATH-Files, dass WPATH weder als medizinische noch als wissenschaftliche Organisation behandelt werden sollte: Ein Vorwurf, der, insofern er auf nachvollziehbaren Dokumenten basiert, Folgen weit über die USA hinaus haben dürfte. 

Laut Bernhard Strauß, einer der Mitkoordinatoren der S3-Leitlinie, sei man dabei, die Vorwürfe gegen WPATH zu prüfen. „Wir gehen davon aus, dass die 2018 veröffentlichte S3-Leitlinie zur Transgesundheit der AWMF von diesen Vorwürfen nicht tangiert ist, da wir uns auf unsere eigenen Evidenzrecherchen gestützt haben.“ Die Leitlinien würden, so Strauß gegenüber dieser Zeitung, aber aktuell in einem umfangreichen Prozess überarbeitet, unter der Beteiligung von mehreren Fachgesellschaften. Laut Mari Günther, Sprecherin des Bundesverbandes Trans* seien die Standards of Care 7 und 8 zwar in die Recherche zur S3-Leitlinie einbezogen, hätten aber keine maßgebliche Grundlage geboten.
 Im S3-Patientenleitfaden werden die „Standards of Care“ als eine von drei der „wichtigsten“ Leitfäden erwähnt, die in der S3-Leitlinie „erwähnt oder empfohlen“ werden.

Während in einigen Ländern wie England und Schweden Pubertätsblocker seit kurzer Zeit nur noch im Rahmen klinischer Studien verschrieben werden dürfen, empfiehlt eine kommende S2k-Leitlinie zu Transgenderpatienten im Kinder- und Jugendalter weniger strenge Zugangskriterien. Gegenüber dem „Deutschen Ärzteblatt“ sagte die Autorin der Leitlinie, Dagmar Pauli, es seien auch Leitlinien von WPATH in die Leitlinie eingeflossen – aber nicht „maßgeblich“. Im Punkt der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit seien die deutschen Leitlinien viel differenzierter, so die Psychologin.

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