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Vaterschaft: Ein weitreichendes Urteil

Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte leiblicher Väter. Was das Urteil in der Praxis bedeutet.
Vaterschaftsurteil
Foto: IMAGO/Michael Gstettenbauer (www.imago-images.de) | Für eine verfassungskonforme Neuregelung der Vaterschaftsanfechtung zeigt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber unterschiedliche Wege auf.

Die Rechte leiblicher Väter müssen gestärkt werden, so lautet der Kern des am Dienstag verkündeten Urteils des Bundesverfassungsgerichts. Das Gericht stellte fest, dass die gesetzlichen Regelungen über die Vaterschaftsanfechtung nicht mit dem Elterngrundrecht aus Art. 6  Absatz 2 des Grundgesetzes vereinbar sind. Der Gesetzgeber erhielt daher den Auftrag, bis zum 30. Juni 2025 eine verfassungskonforme Neuregelung zu erstellen.

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Hintergrund des Falles ist ein Familienstreit zwischen den leiblichen Eltern eines im Jahr 2020 nichtehelich geborenen Kindes. Der Beschwerdeführer ist laut einem Abstammungsgutachten mit einer Wahrscheinlichkeit in der höchsten Kategorie (99,9999 Prozent) der leibliche Vater. Mit der Mutter des Kindes führte er eine Beziehung und lebte auch mit ihr in einem Haushalt. Nach der Trennung der Mutter von dem Beschwerdeführer hatte dieser weiterhin Umgang mit seinem Kind. 

Die Mutter ging eine neue Beziehung ein. Nachdem der leibliche Vater einen Antrag auf Feststellung seiner Vaterschaft gestellt hatte, erkannte der neue Partner der Mutter die Vaterschaft für das Kind mit ihrer Zustimmung an und wurde so dessen rechtlicher Vater.

Grundsätzliche Überlegungen zum Elterngrundrecht

Dagegen wandte sich der leibliche Vater mit seinem Antrag auf Feststellung, er und nicht der rechtliche Vater sei Vater des Kindes. In erster Instanz erhielt er Recht, in zweiter Instanz aber wies das Oberlandesgericht seinen Antrag als unbegründet ab. Inzwischen bestehe eine sozial-familiäre Beziehung des neuen Partners der Mutter und rechtlichen Vaters zu dem Kind. Daraufhin zog der leibliche Vater vor das Bundesverfassungsgericht. 

In seinem Grundsatzurteil über die Rechte leiblicher Väter stellt der erste Senat zunächst grundsätzliche Überlegungen zum Elterngrundrecht des Art. 6 Grundgesetz (GG) an. Es umfasse nicht allein Rechte im Verhältnis zum und im Umgang mit dem Kind, wie etwa das Sorgerecht, sondern schließe die Pflicht zur Pflege und Erziehung des Kindes ein. „Zu dieser gehört neben der Verantwortlichkeit für das physische, psychische und wirtschaftliche Wohl des Kindes auch, dafür zu sorgen, dass sich das Kind in Ausübung seines eigenen Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft entwickeln kann“, heißt es in den Gründen. Träger des Elterngrundrechtes seien „jedenfalls die im herkömmlichen Sinne leiblichen Eltern des Kindes, also der Mann und die Frau, die das Kind durch Geschlechtsverkehr mit ihren Keimzellen gezeugt haben, wenn diese Frau anschließend das Kind geboren hat.“ Ein leiblicher Vater könne sich genauso auf sein Elterngrundrecht berufen wie die Mutter oder der rechtliche Vater. 

Die geltende Regelung zur Vaterschaftsanfechtung sieht das Gericht grundsätzlich als verfassungsgemäß an. So kann der leibliche Vater nach § 1600 Abs. 2 BGB die Vaterschaft des rechtlichen Vaters dann anfechten, wenn zwischen dem Kind und dem rechtlichen Vater keine sozial-familiäre Beziehung besteht. Damit wolle der Gesetzgeber die bestehende soziale Familie aus Kind, Mutter und rechtlichem Vater schützen und für Klarheit und Beständigkeit sorgen. 

Elterngrundrecht unverhältnismäßig beeinträchtigt

Das Elterngrundrecht leiblicher Väter werde aber durch diese Regelung aus drei Gründen unverhältnismäßig beeinträchtigt. So fänden weder gegenwärtige oder frühere eigene sozial-familiäre Beziehungen zu ihrem Kind noch das frühzeitige sowie konstante Bemühen um die rechtliche Vaterschaft Berücksichtigung. Außerdem blieben leibliche Väter selbst dann ausgeschlossen, „wenn eine sperrende sozial-familiäre Beziehung des Kindes zum rechtlichen Vater mittlerweile nicht mehr vorliegt“, das heißt die neue Beziehung der Mutter in die Brüche gegangen ist.

Kritisch sieht das Bundesverfassungsgericht auch die Tatsache, dass Erfolg oder Misserfolg eines Anfechtungsantrags „häufig von Zufällen der zeitlichen Abfolge der Ereignisse, dem Willen der Mutter, den Einwirkungsmöglichkeiten des Jugendamts und der Auslastung der Familiengerichte abhängig“ seien und so zu einem „Wettlauf“ um die rechtliche Vaterstellung führen könnten.

Für eine verfassungskonforme Neuregelung der Vaterschaftsanfechtung zeigt das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zwei Wege auf. Wenn es bei der rechtlichen Elternschaft für zwei Personen bleibe, müsse dem leiblichen Vater ein hinreichend effektives Verfahren zur Verfügung stehen, das ihm grundsätzlich die Erlangung der rechtlichen Elternschaft ermögliche. Denkbar sei aber auch, dass Mutter, Vater und rechtlicher Vater nebeneinander Träger des Elterngrundrechtes sein könnten. Damit vollzieht das Gericht eine Änderung seiner früheren Rechtsprechung. Das Kindeswohl erfordere aber eine enge Begrenzung der Zahl der Elternteile, auch sei der Gesetzgeber nicht gehalten, bei rechtlicher Elternschaft von drei Elternteilen allen die gleichen Rechte im Verhältnis zum Kind einzuräumen.

Ein Kind könnte mehr als zwei Elternteile haben

Die möglichen Folgen dieses Urteils für die Praxis sind weitreichend. Erstmals ist es denkbar, dass ein Kind mehr als zwei Elternteile haben kann – „vielleicht schon in zehn Jahren“, wenn der Gedanke kollektiv gereift sei, orakelt die Berliner „taz“. 

Nimmt man das Interesse des Kindes, um dessen Wohl es vorrangig gehen sollte, in den Blick, ist gesunde Skepsis angesagt. Mit mehr Erziehungsverantwortlichen steigt die Wahrscheinlichkeit für Uneinigkeiten, vor allem vor dem Hintergrund, dass der ganzen Konstellation unweigerlich eine Trennung der leiblichen Eltern zugrunde liegt. Das allgemein übliche gemeinsame Sorgerecht nach Trennung oder Scheidung stellt schon von der Konstruktion her eine nicht zu unterschätzende Herausforderung für die beiden zuständigen Elternteile dar. 

Mit dem Hinweis, dass es bei der Zwei-Elternschaft bleiben könne, wenn die Rechte leiblicher Väter in Zukunft angemessen berücksichtigt würden, stellt das Bundesverfassungsgericht in erster Linie die Wandelbarkeit des Rechts unter Beweis. Das Recht muss auf die geänderte Lebenswirklichkeit reagieren: die Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften, deren Dauer wie bei manchen Ehen nicht in Stein gemeißelt ist. Ein weiterer wichtiger Aspekt dabei ist der Wunsch leiblicher Väter, Erziehungsverantwortung für ihr Kind zu übernehmen.  

Die Politik versichert einstweilen, am Zwei-Eltern-Prinzip festhalten zu wollen. Darüber bestehe in der Ampelkoalition Einvernehmen, sagte Bundesjustizminister Buschmann. „Wir wollen eine ehrgeizige Reform des Abstammungsrechts durchführen, wir wollen aber keine Revolution machen“, betonte er. 

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Cornelia Huber Bundesverfassungsgericht Marco Buschmann Vaterschaft

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