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Unterwegs in die eugenische Gesellschaft

Bundestagsabgeordnete von Union, SPD, FDP, den Grünen und der Linken fordern eine breite gesellschaftliche Debatte über nicht-invasive Gentests. Warum die unverzichtbar ist – Eine Analyse. Von Stefan Rehder
Trisomie-Bluttest in Konstanz
Foto: dpa | Der PraenaTest wird seit 2012 angeboten. Bisher ist er nur als sogenannte „individuelle Gesundheitsleistung“ erhältlich. Gesetzlich Versicherte müssen für so eine Leistung also selbst zahlen.

Offiziell dauert die neunwöchige Sommerpause im Berliner Regierungsviertel noch bis zum 10. September an. Genauso wenig wie das Volk, das sie vertreten, legen die Parlamentarier jedoch bis dahin einfach die Füße hoch. Liegengebliebenes will aufgearbeitet, Gesetzentwürfe wollen vorbereitet und Wahlkreise betreut werden. Manche Initiativen werden sogar absichtsvoll in dieser Zeit gestartet, um sicherzustellen, dass sie im Meer der übrigen Nachrichten nicht untergehen. Vergangene Woche veröffentlichten zehn Bundestagabgeordnete von Union, SPD, FDP, Bündnis 90/Die Grünen und der Fraktion Die Linke ein interfraktionelles Positionspapier, dem vermutlich ein solches Schicksal beschieden gewesen wäre, als der unionsinterne Asylstreit, das frühe Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM in Russland und das Treffen zweier Weltmachtführer in Helsinki noch die Schlagzeilen beherrschten.

In dem Papier, das die Überschrift „Vorgeburtliche Bluttests – Wie weit wollen wir gehen?“ trägt, fordern die von der Sprecherin für Behindertenpolitik der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Corinna Rüffer, angeführten Parlamentarier eine „breite gesellschaftliche Debatte“ über die drohende Aufnahme solcher Tests in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen. In dieser gelte es „die problematischen Aspekte der bereits verfügbaren Tests genau zu analysieren und über die richtigen Schlussfolgerungen zu diskutieren“, heißt es in dem Papier. So werde beispielsweise „in Aufklärungsbögen vor pränataldiagnostischen Untersuchungen mit dem Ziel, Trisomien zu erkennen, ein Leben mit Down-Syndrom in der Regel als etwas zu Vermeidendes dargestellt“.

Kaum Informationen über Leben mit Down-Syndrom

Bei Menschen mit Down-Syndrom (Trisomie 21) ist das Chromosom 21 in jeder Zelle drei-, anstatt wie üblich, lediglich zweifach vorhanden, was mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen der Betroffenen einhergeht. Dennoch leiden Menschen mit Down-Syndrom, die als besonders emphatisch und warmherzig gelten, in aller Regel nicht unter ihrer Behinderung, sondern „unter den Reaktionen ihrer Umwelt“, wie es der langjährige CDU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen Hubert Hüppe einmal treffend formulierte. Eltern, die ein solches Kind erwarteten, erhielten „in der Regel keine Informationen darüber, wie das Leben mit Down-Syndrom tatsächlich aussieht“ und bekämen „kaum eine Chance, das weit verbreitete gesellschaftliche Bild von Behinderungen als etwas 'Leidvollem' mit den realen Erfahrungen von Menschen mit Down-Syndrom und ihren Familien abzugleichen und sich einen realistischen Eindruck zu verschaffen“, klagen Hüppes heutige Kollegen in ihrem Papier. So sei etwa „derzeit nicht sichergestellt, dass Schwangeren bei Inanspruchnahme des Tests eine genetische Beratung nach dem Gendiagnostikgesetz angeboten wird, auf die sie eigentlich Anspruch haben“. In vielen Praxen würben die Hersteller hingegen mit Informationsbroschüren für ihr Angebot. „Wir gehen daher davon aus, dass sich immer mehr werdende Eltern für solche Tests entscheiden werden, sollten sie als Regelversorgung etabliert werden und damit diejenigen immer stärker unter Rechtfertigungsdruck geraten, die sich gegen einen Test und gegebenenfalls für die Geburt eines Kindes mit Down-Syndrom entscheiden. In Dänemark wird seit 2005 allen Schwangeren eine Risikoabschätzung auf Trisomie angeboten. Seitdem hat sich die Zahl der Kinder, die mit Down-Syndrom geboren werden, halbiert.“

Eine Entwicklung, die auch in Deutschland drohen könnte, wenn solche Bluttests, wie von ihren Herstellern erstrebt, hierzulande tatsächlich in den Rang einer Regelleistung der Gesetzlichen Krankenkassen erhoben würden. Und genau danach sieht es bisher fatalerweise aus. Ein Grund: Vor ziemlich genau zwei Jahren hatte der Gemeinsame Bundesausschuss von Ärzten und Krankenkassen (G-BA) ein sogenanntes Methodenbewertungsverfahren eingeleitet. Im Februar des vergangenen Jahres beauftragte der G-BA dann das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQwiG) mit der „Bewertung der diagnostischen Eigenschaften“ solcher Tests „zur Entdeckung von Embryonen und Feten mit Trisomie 13, 18 und 21“. Am 27. Juni diesen Jahres legte das IQwiG seinen Abschlussbericht vor. Das 122 Seiten umfassende Dokument kann von der Webseite des Instituts heruntergeladen werden. Nach Ansicht des IQwiG sind die nichtinvasiven Tests „mit über 99 Prozent ähnlich sensitiv und spezifisch wie die invasiven Methoden“. „Würden schwangere Frauen mit erhöhtem Risiko für eine fetale Trisomie 21 eine NIPD (NIPD = nicht-invasive Präntaldiagnostik) angeboten, ließe sich vermutlich ein Teil der Fehlgeburten vermeiden, die die invasive Diagnostik auslösen kann.“

Bis zum Jahr 2012 konnten Trisomien wie das Down-Syndrom vorgeburtlich nur mit invasiven Methoden wie der Amniozentese diagnostiziert werden. Bei der Fruchtwasseruntersuchung durchsticht der Arzt etwa ab der 13. Schwangerschaftswoche unter Ultraschallansicht mit einer dünnen Hohlnadel die Bauchdecke der Schwangeren, dringt bis in Fruchtblase vor und entnimmt dort zwischen 10 und 15 ml des Fruchtwassers. Weil im „Badewasser“ des ungeborenen Kindes auch Zellen treiben, die es bereits abgestoßen hat, lassen sich diese im Labor vermehren und anschließend einer DNA- oder auch einer Chromosomenanalyse unterziehen. Deren Ergebnisse erlauben es Ärzten wiederum, Aussagen über die Wahrscheinlichkeit genetischer Fehlbildungen zu treffen. Die Aussagekraft solcher Fruchtwasseruntersuchungen ist jedoch beschränkt, weil frühe Embryonen selbst abnorme Zellen absondern können und daher – wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad – die Fähigkeit der Selbstheilung besitzen. Was auch erklärt, warum in einigen Fällen Eltern, die sich trotz einer diagnostizierten Trisomie für eine Geburt und gegen eine Abtreibung entschieden, völlig gesunde Kinder zu Welt bringen. Damit nicht genug, bergen invasive Diagnostiken auch noch andere Risiken. Selbst bei hinreichend geübten Medizinern kann der Einsatz der Nadel zu einem gefährlichen Verlust von Fruchtwasser führen oder den Embryo verletzen. Vor allem dann, wenn sich das Kind unerwartet bewegt. Auch kann die Gebärmutter bei dem Verfahren beschädigt werden und eine Infektion hervorrufen. Alles Komplikationen, die mitunter gravierende Folgen nach sich ziehen. Statistisch betrachtet endet jede hundertste Fruchtwasseruntersuchung mit einer Fehlgeburt.

2012 brachte dann die in Konstanz ansässige BioTech-Schmiede Lifecodexx mit dem „PraenaTest“, den ersten nichtinvasiven pränataldiagnostischen Bluttest in Deutschland auf den Markt. Der hierzulande bisher nur als „individuelle Gesundheitsleistung“ (IGeL) erhältliche und daher von gesetzlich Versicherten selbst zu zahlende Test macht sich eine weitere Quelle zunutze, die Aufschluss über die Beschaffenheit des Erbgutes des Kindes zu geben verspricht: das Blut der Mutter. Der Grund hier: Bereits in der zehnten Woche, wenn der Embryo knapp sechs Zentimeter misst und schon einige Gramm auf die Waage bringt, flutet er den mütterlichen Blutkreislauf mit Fragmenten seines Erbguts. Superrechner, die heute überall zur Sequenzierung des Genoms eingesetzt werden, können dann aus diesen DNA-Schnipseln den kompletten genetischen Code des Kindes errechnen.

Was für die Mütter risikofrei ist, mutiert für das Kind in der Praxis zu einem rasiermesserscharfen Selektionsinstrument. Nicht nur, weil Schätzungen zufolge ohnehin mehr als 90 Prozent der Kinder, bei denen das Down-Syndrom diagnostiziert wird, abgetrieben werden. Sondern auch, weil der Test zu einem Zeitpunkt der Schwangerschaft zum Einsatz kommt, zu dem die Mutter aufgrund der hormonellen Umstellung ihres Organismus in der Schwangerschaft noch keine feste Bindung zu dem Kind aufbauen kann. Da die Aufnahme in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen einer Art „Gütesiegel“ gleichkommt – getreu dem naiven Motto, was die Solidargemeinschaft finanziert, kann nicht falsch sein – wäre mit einer weiteren Verschärfung dieser Ausgangslage zu rechnen. Damit nicht genug. Denn die Bluttests gefährden auch das Leben gesunder Kinder. Der Grund hier: Kein molekulargenetischer Test vermag die Merkmalsträger zu 100 Prozent korrekt von solchen zu unterscheiden, die dieses Merkmal nicht tragen. Alle haben eine falsch-positiv-Rate und weisen daher fälschlicherweise Kinder als Träger eines Merkmals aus, das sie in Wirklichkeit gar nicht besitzen.

Ethikrat macht auf Fehlerquote aufmerksam

In seiner Stellungnahme „Die Zukunft der genetischen Diagnostik – von der Forschung in die klinische Anwendung“ hat der Deutsche Ethikrat dies thematisiert und in einer Modellrechnung anhand der Falsch-positiv-Rate des PraenaTests, die mit 0,3 Prozent angegeben wird, auch exemplifiziert. Ergebnis: Würden sich 30 000 Frauen, die aufgrund ihres Alters ein erhöhtes Risiko besäßen, ein Kind mit Down-Syndrom zu gebären, alle dem Blutest unterziehen, dann würde dieser neben 300 tatsächlich Betroffenen (das Risiko liegt bei 1 : 30 000) von den Übrigen zusätzlich auch 89 Kinder falsch positiv auf das Down-Syndrom testen (0,3 Prozent von 29 700), die dieses Merkmal gar nicht besitzen.

„Von insgesamt 389 Testergebnissen, die auf eine Trisomie 21 hindeuten, wären in diesem Beispiel fast ein Viertel falsch“, schreibt der Rat in seiner Stellungnahme. Schlimmer noch: Würden gar alle Schwangere den Test in Anspruch nehmen, sei aufgrund des geringeren durchschnittlichen Risikos damit zu rechnen, „dass circa zwei Drittel der Trisomie-21-Diagnosen falsch positiv und nur ein Drittel korrekt wären“.

Mit anderen Worten: Nicht nur die Gegner einer eugenischen Gesellschaft haben allen Grund, jene Debatte zu führen, die ihnen die – auch in der Sommerpause – hellwachen Abgeordneten ans Herz legen. Ironischerweise gilt dasselbe auch für alle anderen. Der Herbst verspricht somit, wenn schon nicht erfreulich, so doch wenigstens politisch spannend zu werden.

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