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Solidarität, aber mit roten Linien

Über starke Zeichenhandlungen darf sich die Ukraine freuen, auf einen NATO-Beitritt ihres freien Teils jedoch darf sie eher nicht hoffen.
Bundeskanzler Olaf scholz reist nach Kiew
Foto: IMAGO/Blondet Eliot/ABACA (www.imago-images.de) | Am Montag reiste der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz nach Kiew. Der Besuch war wie immer aus Sicherheitsgründen vorab nicht angekündigt worden.

Über einen Mangel an starken Zeichen der Solidarität muss sich die Ukraine nicht beklagen. Denn es ist gewiss eine deutliche Zeichenhandlung, dass die neuen Verantwortlichen in der Europäischen Union als erste Amtshandlung nach Kiew reisten, um der Ukraine ihre Unterstützung zuzusagen: Die EU-Kommissionspräsidentin war seit dem Beginn der russischen Invasion häufig in Kiew, nun reisten der neue EU-Ratspräsident António Costa, die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas und die neue Kommissarin für EU-Erweiterung, Marta Kos, gemeinsam. Ihre einhellige Botschaft lautete: Die Europäische Union wird die Ukraine weiterhin unterstützen – diplomatisch, finanziell, politisch und auch militärisch.

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Diesem Reigen folgte nun am Montag der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz, der eine Reise nach Kiew mehr als zwei Jahre lang vermieden hatte. Scholz, irgendwie schon im Wahlkampfmodus, lobte vor allem sich und seine Ukraine-Politik: Deutschland bleibe „der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa“, die Ukraine könne sich auf Deutschland verlassen. Wahr ist in der Tat, dass Berlin finanziell großzügig und militärisch zur Zeitenwende bereit war. Zugleich hat Scholz penibel darauf geachtet, Wladimir Putin nicht zu sehr zu provozieren. Darum kann die Ukraine für die verbleibende Amtszeit von Scholz auch nicht mit Taurus-Marschflugkörpern rechnen.

Das Dilemma des Westens

Vor diesem Dilemma stehen die ganze EU und der gesamte Westen: Wie kann man verhindern, dass der Aggressor belohnt und die Ukraine zerstört wird, aber gleichzeitig vermeiden, selbst zur Kriegspartei zu werden? Wie kann man die Ukraine und das Völkerrecht retten, doch gleichzeitig eine geografische Ausweitung des Kriegs vermeiden?

Auf diese Frage müssen in dieser Woche die Außenminister der NATO-Mitgliedstaaten eine konsensfähige Antwort finden: Die Polen und die Balten wünschen aus guten Gründen, Putin möge seinen Krieg in der Ukraine verlieren, um ihn nicht in ihre Länder zu tragen. Andere wiederum fürchten eine russische Niederlage nicht weniger als eine ukrainische. Die Hoffnung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, die NATO werde sein Land nun offiziell zum Beitritt einladen, dürfte deshalb ebenso illusorisch sein wie die Sehnsucht, die NATO werde die Luftraumsicherung über dem ukrainischen Staatsgebiet übernehmen.

Eine Kompromissformel wäre, die freie Ukraine ohne den faktisch russisch besetzten Teil im Osten und Süden sofort in die NATO aufzunehmen, ohne aber Kiew einen völkerrechtlichen Verzicht auf die okkupierten Territorien abzuverlangen. Doch dieser Vorschlag wird wohl an beiden Seiten scheitern: Kiew weiß, dass damit die Teilung der Ukraine ebenso zementiert würde wie einst die Teilung Zyperns, die niemand völkerrechtlich anerkennt, aber jeder als gegeben hinnimmt. Und die NATO weiß, dass alle ihre Mitgliedstaaten zur Kriegspartei würden, sobald der Bündnisfall einträte – also wenn Putin weiter Raketen, Kampfdrohnen und Gleitbomben gegen die Zentral- und Westukraine einsetzt. Und Putin seinerseits weiß, was man in Kiew wie im Westen fürchtet. 

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