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Selbstbestimmungsgesetz: Ideologie statt Wahrheit

Als Bettvorleger gelandet: Das Vorhaben, mit dem Selbstbestimmungsgesetz eine neue Zeit jenseits der Biologie einzuläuten, darf jetzt schon als gescheitert gelten. Ein Kommentar.
Diskussion über Selbstbestimmungsgesetz
Foto: IMAGO/Christoph Hardt (www.imago-images.de) | Das SBGG soll künftig das Transsexuellengesetz (TSG) ablösen. Damit soll die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags für jeden per einfacher Erklärung beim Standesamt möglich sein.

Die Ampel-Koalition fuhr die schweren Geschütze auf: Es gehe um „die Achtung und die Würde der Person, nicht um Identitätspolitik oder Zeitgeist“, so Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Das Gesetz wolle „die geschlechtliche Selbstbestimmung so regeln, wie es einem freiheitlichen Rechtsstaat würdig ist“, ließ Familienministerin Paus (Grüne) verlauten. Für den Queer-Beauftragten der Bundesregierung Sven Lehmann (Grüne) ist es für alle demokratischen Parteien an der Zeit, sich „schützend vor trans Menschen zu stellen und ihre Menschenwürde zu verteidigen“.

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Die Kritikpunkte an einem handwerklich schlecht gemachten Gesetz traten in der ersten Lesung des Selbstbestimmungsgesetzes (SBGG) im Bundestag deutlich hervor. Es wirft mehr Fragen auf, als es klärt; den einen geht es nicht weit genug, für die anderen vermischt es Biologie und Ideologie in unzulässiger Weise: So könnte man das Ergebnis der gestrigen Sitzung zusammenfassen.

Keine Unterscheidung zwischen Inter- und Transgeschlechtlichkeit

Das SBGG soll künftig das Transsexuellengesetz (TSG) ablösen. Damit soll die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrags für jeden per einfacher Erklärung beim Standesamt möglich sein. Die Ungenauigkeiten beginnen – gleichwohl zweifelsfrei gewollt – bereits bei den Begrifflichkeiten: Biologisches Geschlecht und psycho-soziale Geschlechtsidentität werden weder ordentlich definiert noch trennscharf voneinander unterschieden. Auch unterscheidet der Entwurf nicht zwischen Inter- und Transgeschlechtlichkeit, obwohl es sich um grundverschiedene Phänomene handelt.

Auch für Kinder und Jugendliche soll die Begutachtungspflicht vor Änderung des Geschlechtseintrags wegfallen. Ab 14 können Kinder mit Zustimmung der Eltern selbst die Änderung vor dem Standesamt vornehmen lassen, davor liegt dies in der alleinigen Verantwortung der Eltern. Als prominenter Kritiker warnt der Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte im Sinne des Kindeswohls ausdrücklich vor dem Wegfall einer fachlichen Begutachtung bei Kindern und Jugendlichen – und nicht nur er.

Aus dem Innenministerium stammte die Sorge, dass sich Straftäter dank des SBGG leicht unter neuem Namen und Geschlecht absetzen könnten. Deswegen soll nun eine Inanspruchnahme des Gesetzes an Polizei und Verfassungsschutz weitergeleitet werden. Das wiederum kritisieren LGBT-Verbände, Linke und die Antidiskriminierungsbeauftragte des Bundes als Zeichen des Misstrauens gegen Betroffene.

Maximale Rechtsunsicherheit entsteht

Ähnliches gilt für die Regelung zum Hausrecht: Saunen oder weiblichen Schutzräumen wie Frauenhäusern wird nämlich weiterhin das Recht zugestanden, im Einzelfall Personen abzuweisen, um „etwa auf das natürliche Bedürfnis nach dem Schutz der Intimsphäre oder auch auf die Befürchtung einer Belästigung oder sexuellen Belästigung Rücksicht zu nehmen“. Auch im Sport können Vereine weiterhin selbst entscheiden, wen sie zu geschlechtergetrennten Disziplinen zulassen. Für die jeweiligen Hausherren ergibt sich dadurch maximale Rechtsunsicherheit, steht dies doch im Widerspruch mit der Nichtdiskriminierung aufgrund des Geschlechts und dem Offenbarungsverbot, das ebenfalls im Entwurf festgeschrieben ist. Danach wird bestraft, wer das „frühere“ Geschlecht und den ehemaligen Namen einer Person ohne dessen Zustimmung offenbart. 

Jeder Mensch hat das Recht, in seiner Würde als Mensch respektiert und entsprechend respektvoll behandelt zu werden. Dafür hat der Staat zu sorgen. Das gilt auch für intersexuelle Menschen und solche, die sich als „trans“ oder „non-binär“ bezeichnen. Einen dermaßen widersprüchlichen Gesetzesentwurf wie das SBGG quasi mit der Rettung von Menschenwürde und freiheitlichem Rechtsstaat gleichzusetzen, entwertet jedoch beide Begriffe. 

Gesellschaftliche Atmosphäre in Deutschland vergiftet

Wie kaum ein anderes Vorhaben steht das Selbstbestimmungsgesetz für den umfassenden gesellschaftlichen Umbau, den die „Fortschrittskoalition“ anstrebt. Bis hierher war der Weg ziemlich holperig: Vollmundig kam die Koalition vor eineinhalb Jahren mit den Eckpunkten zum Gesetz heraus. Aufgrund des Gegenwinds aus verschiedenen Richtungen, unter anderem aus der eigenen Koalition, dauerte es über ein Jahr, bis endlich ein Entwurf vorgelegt wurde.

Wie kaum ein anderes Thema hat das Selbstbestimmungsgesetz in den letzten zwei Jahren die gesellschaftliche Atmosphäre in Deutschland vergiftet. Transphobie, "hate speech" und Nazi-Vorwürfe mussten sich diejenigen gefallen lassen, die im Namen des Kindeswohls oder von Frauenrechten Zweifel an dem Gesetzesvorhaben anmeldeten. Die großen Verlierer sind, wie so oft, die Betroffenen selbst – Transsexuelle, die in Ruhe leben wollen, ohne ihre Sexualität pausenlos ans Licht gezerrt zu sehen und Kinder, die in der fragilen Phase der jugendlichen Identitätsfindung rücksichtslos einer zerstörerischen Fortschrittsideologie geopfert werden.

Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet: Schon jetzt kann man sagen, dass das Vorhaben, eine neue, post-biologische Zeit einzuläuten, gescheitert ist.

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