Dmitrij Medwedew ist Putins Mann fürs allzu Grobe. Aber er ist auch Russlands Ex-Präsident und derzeit Vizepräsident des von Putin geleiteten russischen Sicherheitsrates, deshalb sind seine Verbalinjurien jedenfalls mit dem Kreml-Chef abgestimmt. Wenn Medwedew jetzt dem militärisch neutralen Österreich vorwirft, einen „militaristischen Kurs“ zu steuern, mit einer NATO-Annäherung internationale Verträge zu verletzen und dadurch „zum Ziel von Feuerangriffen der russischen Streitkräfte“ zu werden, ist das eine ernst zu nehmende Drohung: Moskau will Europa einschüchtern, und in Wien war das traditionell stets besonders leicht.
Natürlich weiß Medwedew, dass die Alpenrepublik keinerlei Anstalten macht, der NATO beizutreten; an dieser durchaus vernünftigen Option biss sich ein Vierteljahrhundert vor der gegenwärtigen Außenministerin schon ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel die Zähne aus. Finnland und Schweden dagegen haben angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine ihre Neutralität aufgegeben und Schutz in der NATO gesucht. Und die von Medwedew als „militaristische Raserei“ inkriminierte Aufrüstung in Europa hat ihre Ursache ausschließlich in der leidvollen Erkenntnis, dass Putins Russland nicht nur seine Nachbarn bedroht, sondern die Sicherheit und Stabilität ganz Europas.
Genau dafür hat Medwedew mit seinen jüngsten Äußerungen einen weiteren Beleg geliefert: Wenn er schreibt, dass Russland „einer der Gründer des gegenwärtigen Österreichs“ sei, und Wien mit „Gegenmaßnahmen“ droht, dann stellt er die Souveränität eines Landes in Frage, aus dem die Rote Armee bereits 1955 vollständig abzog. Der Kreml mischt sich also nicht nur in den souveränen Staaten der 1991 untergegangenen Sowjetunion und des „Ostblocks“ ein, sondern bedroht und erpresst weit darüber hinaus viele Länder in Europa. Wer jetzt noch immer meint, Putins Zerstörung der Ukraine sei „doch nicht unser Krieg“, hat den Schuss offenbar nicht gehört.
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