Kurswechsel in den Niederlanden: Es wird dort aller Wahrscheinlichkeit nach kein Selbstbestimmungsgesetz geben. Die Partei Nieuw Sociaal Contract (NSC) - einst Befürworter des Selbstbestimmungsgesetzes - will einen Antrag im Parlament für die Änderung des Transsexuellengesetzes (TSG) zurückziehen und verweist dabei auf eine Studie der Universität Groningen von Februar dieses Jahres, die zeigt, dass Verunsicherung mit dem eigenen Geschlecht unter Jungen und Mädchen in der Pubertät häufig vorkommt – besonders bei denen, die nicht homosexuell sein wollen.
„Wir sind absolut nicht gegen eine Geschlechtsangleichung“, sagte die Abgeordnete Nicolien van Vroonhoven Anfang April gegenüber dem niederländischen Nachrichtenportal „AD“. Es gebe „reale Risiken für die Sicherheit von Frauen“. In England etwa sehe man, „dass Männer plötzlich Zugang zu Frauengefängnissen bekommen. Das sollten wir nicht wollen“. Joost Sneller, Abgeordneter der Democraten 66 (kurz D66), hält dagegen: Er fürchtet eine „konservative Wende“ im Repräsentantenhaus und dass „das Streben nach individueller Freiheit, das für die Niederlande charakteristisch ist“, aufgegeben würde.
Pubertätsblocker sind nicht Mittel der Wahl
Ziel der geplanten Gesetzesänderung war es gewesen, Transpersonen ab 16 Jahren die Änderung von Vornamen und Geschlecht ohne Vorlage eines ärztlichen Attests zu ermöglichen. Laut der Groninger Studie dürfen Medikamente wie Pubertätsblocker kein Mittel der ersten Wahl sein, wie es das Beratungskonzept der Amsterdamer Universitätsklinik für Minderjährige — bekannt als „Dutch Protocol“ — mit Geschlechtsdysphorie vorsieht.
Die Fachleute schlagen vielmehr vor, die Ursache des Unbehagens mit kompetenter psychotherapeutischer Begleitung zu ergründen. In Bezug auf das kontrovers diskutierte „Dutch protocol" haben Gegner, so heißt es in dem Aritkel, mehrfach auf Untersuchungen verschiedener Länder verwiesen, die eine medizinische Evidenzbasis und ungeklärte Risiken zum Thema aufzeigen.
Überwiegend Mädchen betroffen
Ein Team aus Psychologen der Universität untersuchte Zusammenhänge zwischen der Unzufriedenheit mit dem Geschlecht und dem Selbstkonzept, mit Verhaltens- und emotionalen Problemen und der sexuellen Orientierung von der frühen Adoleszenz bis zum jungen Erwachsenenalter und deren Zusammenhang mit Selbstkonzept, Verhaltens- und emotionalen Problemen sowie der sexuellen Orientierung. Dafür wurden Daten von 2.772 Jugendlichen erhoben.
Dabei zeigte sich, dass es sich beim Großteil derer, die mit ihrem Geschlecht unzufrieden sind, um Mädchen handelt. Dieses Unbehagen korreliere mit einem geringeren Selbstwertgefühl, Verhaltens- und emotionalen Problemen und einer nicht-heterosexuellen sexuellen Orientierung. Grundsätzlich sei Unzufriedenheit mit dem eigenen Geschlecht im frühen Jugendalter nicht ungewöhnlich, sie nehme aber in der Regel mit zunehmendem Alter ab. DT/dsc
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.