Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung "Perversion der Freiheit“

Nicht alle feiern Frankreichs Abtreibungs-Beschluss

Es gibt auch kritische Stimmen aus Politik, Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft zum Votum für ein konstitutionelles „Recht“ auf Abtreibung.
Auf dem Marsfeld vor dem Eiffelturm wird die Aufnahme von Abtreibung als Verfassungsrecht gefeiert
Foto: IMAGO/Vincent Isore (www.imago-images.de) | Auf dem Marsfeld vor dem Eiffelturm wird die Aufnahme von Abtreibung als Verfassungsrecht gefeiert. Doch es gibt auch Stellungnahmen aus Politik, Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft, die nicht in den Freudentaumel ...

Die nun beschlossene Aufnahme der vermeintlichen „Freiheit, eine Abtreibung vornehmen zu lassen“ in die französische Verfassung hat nicht überall für Jubel gesorgt. Es gab durchaus auch Stellungnahmen aus Politik, Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft, die so gar nicht zu dem in vielen Medien kolportierten Freudentaumel passen wollen. Hier eine kleine Auswahl:

Perversion des Rechts auf Leben

Als „Zivilisationsbruch“ kritisierte etwa der langjährige Europaabgeordnete Bernd Posselt, den Beschluss beider Kammern des französischen Parlamentes, ein „konstitutionelles Recht auf Abtreibung“ in die Verfassung der Fünften Republik aufzunehmen. Wer die Tötung eines ungeborenen Menschen nicht nur wie bisher weitgehend straffrei stelle, sondern daraus sogar ein Menschenrecht mache, pervertiere das grundsätzliche Recht auf Leben in sein Gegenteil.

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Posselt, der auch Mitglied des CSU-Parteivorstandes ist, rief dazu auf, sich europaweit dem Plan von Präsident Macron zu widersetzen, eine ähnliche Formulierung in die EU-Grundrechtecharta aufzunehmen: „Das Abtreibungsrecht ist keine EU-Zuständigkeit und soll auch keine werden. Eine solche Änderung der Grundrechtecharta könnte nur einstimmig erfolgen und muss mit aller Kraft verhindert werden.“

Die Bundesvorsitzende der Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA), e.V., Cornelia Kaminski erklärte: keine „noch so glamouröse Inszenierung“ könne „darüber hinwegzutäuschen, was beide Kammern des französischen Parlaments gestern Abend im Schloss von Versailles in Wirklichkeit beschlossen haben. Denn die ‚Freiheit, eine Abtreibung vornehmen zu lassen‘, bedeutet in Wahrheit ‚die Freiheit, ein wehrloses und unschuldiges Kind töten zu lassen‘.“ 

Diese „Freiheit“ in den Verfassungsrang zu erheben, komme „einem Bruch mit der europäischen Menschenrechtstradition gleich. Ihr zufolge genießen Menschen ‚vorstaatliche‘ Rechte. Rechte, die ihnen nicht von Staaten verliehen werden, sondern die vielmehr von Staaten anerkannt und von ihnen bei sämtlichen Gesetzgebungsverfahren beachtet werden müssen. Weil ‚vorstaatliche‘ Rechte aber nur genießen kann, wer lebt, ist die Wahrung des ,Rechts auf Leben‘ logischerweise das erste und vornehmste aller vorstaatlichen Rechte“, so Kaminski weiter.

Bruch mit der europäischen Menschenrechtstradition

Daraus folge: „Ein Staat, der das ‚Recht auf Leben‘ zur Disposition stellt, in dem er dessen Wahrung oder Missachtung dem Belieben eines Teils seiner Bürger überlässt, legt in Wahrheit seine Hand zugleich auch an alle anderen Menschenrechte. Ein Staat, der Bürgerinnen das Recht zuspricht, einen wehrlosen und unschuldigen Menschen von Ärzten töten zu lassen und dieses Recht in den Verfassungsrang erhebt, maßt sich ein Recht an, das er – jedenfalls innerhalb der europäischen Menschenrechtstradition – gar nicht beanspruchen und über das er deshalb auch nicht verfügen kann. Er muss daher, auch was den Schutz der übrigen Menschenrechte betrifft, als unzuverlässig gelten. Nicht umsonst fürchten nicht wenige Ärzte in Frankreich, als nächstes zur Durchführung von Abtreibungen gesetzlich verpflichtet zu werden.“

Dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron die Verfassungsänderung ausgerechnet am Weltfrauentag (8. März) feierlich verkünden wolle, sei „geradezu grotesk und an Zynismus nicht mehr zu überbieten. Denn mehr als die Hälfte der aufgrund der neuen ,Freiheit‘ Getöteten werden wehrlose und unschuldige Frauen in einem sehr frühen Stadium ihrer Entwicklung sein: Ungeborene Mädchen, denen sämtliche vorstaatlichen Rechte sowie die Chance genommen werden, sich selbst einmal für oder gegen die Gründung einer Familie zu entscheiden. Wer darin einen Sieg für Frauenrechte zu erblicken können meint, muss entweder sehr kurzsichtig oder aber völlig skrupellos sein“, so Kaminski abschließend.

Diskriminierung gestern und heute

Bereits vor der Abstimmung in Schloss Versailles hatte der vormalige Präsident des Weltverbandes der katholischen medizinischen Vereinigungen (FIAMC), Gian Luigi Gigli, erklärt, das Vorhaben der beiden Kammern rufe die Erinnerung an den berühmten Ausspruch der französischen Schriftstellerin und Sympathisantin der Girondisten Jeanne-Marie Roland de La Platière wach, die vor ihrer Hinrichtung auf dem Richtplatz beim Anblick der Statue der Freiheit ausgerufen haben soll:„O, Freiheit: Wie viele Verbrechen werden in deinem Namen begangen!“

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Auch zu anderen Zeiten der Geschichte habe es eine Diskrepanz zwischen den Rechten der Menschen, die nicht unbedingt als Personen angesehen wurden, und den Bürgerrechten der Bürger gegeben. Gigli: „Es genügt zu sagen, dass der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten noch 1857 bekräftigen konnte, dass schwarze Menschen keine Personen sind und nicht die Rechte von Bürgern genießen.“ Heute erfolge die Diskriminierung „durch die freiwillige Abtreibung des Embryos und des Fötus, also von Menschen, die sich in einem Entwicklungsstadium befinden, das sie, wenn es nicht unterbrochen wird, zu Neugeborenen, Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und alten Menschen werden lässt. … Aber kann der Tod der Schwächsten überhaupt in die Verfassung eines demokratischen Landes aufgenommen werden? Ist dies nicht die ultimative Perversion der Freiheit? Ist das nicht das Verbrechen an der Freiheit, von dem Madame Roland sprach, als sie zur Guillotine geführt wurde?“

Beschleunigung eugenischer Tendenzen

Der Präsident der „Stiftung Jérôme Lejeune“, Jean-Marie Le Méné, erklärte, „Würde und Heiligkeit jedes menschlichen Lebens“ seien „noch nie so bedroht“ gewesen wie jetzt. „Die Konstitutionalisierung des Schwangerschaftsabbruchs ist eine Verweigerung der unbedingten Würde der menschlichen Person. Die Freiheit zur Abtreibung ist die Freiheit, das Leben eines Menschen zu beenden. Niemand kann das leugnen.“ Ihre Verankerung in der französischen Verfassung sei, „nur wenige Jahre nach der Verankerung des Verbots der Todesstrafe“ in derselben, „ein Irrweg“.

Darüber hinaus beschleunige „die Verankerung der Abtreibung in der Verfassung die eugenische Tendenz unserer Gesellschaft, die bereits Föten nach genetischen Kriterien aussortiert.“ Bereits heute würden 96 Prozent der ungeborenen Kinder mit Down-Syndrom Opfer einer Abtreibung. Können wir in einer Gesellschaft, die sich für Integration und Brüderlichkeit einsetzt, akzeptieren, dass einigen aufgrund ihres Genoms das Recht auf Leben verweigert wird?“, so Le Méné weiter.  DT/reh

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