Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Interview mit Bernhard Vogel

Neugestaltung des Lebens in Christus

Bernhard Vogel zählt zu den prägenden Politiker-Persönlichkeiten der Bundesrepublik. Im Interview berichtet er, wie der Bund Neudeutschland sein Glaubensleben prägte.
Der CDU-Politiker Bernhard Vogel
Foto: IMAGO/Thomas Lohnes (www.imago-images.de) | Bernhard Vogel, der im vergangenen Jahr seinen 90. Geburtstag feierte, in seinem Haus in Speyer.

Herr Professor Vogel, wie sind Sie zum Bund Neudeutschland (ND) gekommen?

Ich wurde von einem Klassenkameraden angesprochen, Otto Brenner hieß er. Ich lebte damals kurz nach dem Kriegsende in Gießen, also in der Diaspora. In meiner Klasse waren wir vielleicht drei, vier Katholiken, der Religionsunterricht wurde von einem Geistlichen erteilt. Nachdem mein Mitschüler mich angesprochen hatte, kam schließlich Regens Kuch aus Hadamar auf mich zu, der als Geistlicher für die Jungengemeinschaft des ND zuständig war. Und er brachte auch gleich eine Aufgabe mit: Ich solle eine Gruppe des ND an der Pfarrei in Gießen gründen. Er überreichte mir ein Exemplar des „Hirschberg-Programms“, einer zentralen inhaltlichen Schrift des ND. Dies sollte sich als besonders wegweisend für meine weitere Entwicklung erweisen.

Für welche Ziele stand dieses Programm?

Zunächst einmal etwas zur historischen Entwicklung: 1919 gründete der Kölner Kardinal Felix von Hartmann den Bund Neudeutschland. Es ging darum, Ideen aus der Jugendbewegung unter katholischen Vorzeichen umzusetzen. Auf Schloss Hirschberg, daher der Name, gab sich dann der neue Bund sein Programm. Der zentrale Gedanke, der auch für mich entscheidend ist: Es geht um „eine neue Lebensgestaltung in Christus“. Das hat mich angesprochen, gerade auch in seiner Radikalität.

Verstanden Sie sich als eine Art Elite?

Wir hätten das in so einer Formulierung sicherlich damals von uns gewiesen. Aber uns ging es darum, sich besonders verantwortlich zu fühlen. Besser sein, aktiver sein – das war unsere Selbstverpflichtung.

"Besser sein, aktiver sein –
das war unsere Selbstverpflichtung"

Wie sahen die Aktivitäten des Bundes aus?

Man konnte dort lernen, eine Gruppe zu führen. Die bestand aus etwa 15 Jungen. Wir trafen uns regelmäßig zu Gruppenabenden. Da wurde zum Beispiel gesungen, obwohl ich bis heute ein grottenschlechter Sänger bin. (lacht) Wichtig war aber vor allem die intellektuelle Auseinandersetzung. Wir waren alle Gymnasiasten. Die Gruppenstunde stand immer unter einem inhaltlichen Thema. Und dann, ganz wesentlich für den ND, waren die „Christus-Kreise“, die von einem Geistlichen geleitet wurden. Das waren in der Regel Jesuiten-Patres. Hier wurde uns die Gestalt Christi nahegebracht. Das hat uns alle besonders geprägt.

Wie wichtig waren die bündischen Elemente?

So etwa drei bis vier Mal im Jahr gingen wir auf Fahrt. Junge Leute können sich heute gar nicht mehr vorstellen, was das bedeutete. Man kam ja in der Regel aus seinem Heimatort so kurz nach dem Krieg nicht heraus. Ich sehe noch die Bilder vor mir, wie amerikanische Besatzungssoldaten uns mit ihren LKWs in Nachbarorte transportiert haben.

Sie stammten aus einer katholischen Familie…

Nein, das kann man so nicht sagen. Wir waren zwar katholisch getauft, denn meine Mutter war katholisch. Mein Vater war Protestant. Das kirchliche Leben spielte in meiner Familie keine große Rolle. Das änderte sich bei mir tatsächlich erst durch mein Engagement beim ND. Hier wurde die Grundlage für mein Leben in der Kirche gelegt.

Wie groß waren die Unterschiede zu der herkömmlichen katholischen Jugendarbeit damals?

In Gießen waren unsere Gruppenstunden noch stark an die örtliche Pfarrei gekoppelt. Das war aber vor allem der Diaspora-Situation geschuldet. 1949 bin ich dann nach München gegangen. Dort war der Bund sehr groß. Und so fanden hier die Gruppenabende ganz unabhängig statt.

In München wurde auch Romano Guardini für Sie zu einer prägenden Figur…

Ich studierte eigentlich Volkswirtschaft, Politikwissenschaft und Geschichte, aber trotzdem ging ich, wie so viele andere, in die Vorlesungen von Romano Guardini. Er war damals schon ein älterer Herr, aber seine Vorlesungen zur Theologie und Religionsphilosophie übten eine große Faszination aus, auch auf mich. Besonders beliebt waren seine Predigten jeden Sonntag in der Ludwigskirche. Da ist man nach Möglichkeit hingegangen, weil man hören wollte, was Guardini zu sagen hat.

In dem Grundsatz „neue Lebensgestaltung in Christus“ sticht das Wort „neu“ hervor. 1949 wurde die Bundesrepublik gegründet. War es Ihnen auch wichtig, in diesem Sinne an der Neugestaltung des Gemeinwesens teilzunehmen?

Das würde ich nicht sagen. Hier ging es vor allem um eine persönliche geistige Prägung. Meine Generation hat erst später sich der Frage gestellt, welche Schlussfolgerungen aus dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zu ziehen sind.

"Meine Generation hat erst später
sich der Frage gestellt, welche Schlussfolgerungen
aus dem verlorenen Zweiten Weltkrieg zu ziehen sind"

Hat Ihre Zeit im ND Ihren Weg in die Politik beeinflusst?

Nicht in einer direkten Linie. Die Orientierung auf Christus hat mich persönlich natürlich ganz wesentlich beeinflusst. Und daraus hat sich ein Wertehorizont entwickelt, der mir als Politiker Orientierung gegeben hat. Aber das wäre auch nicht anders gewesen, wenn ich Bankdirektor oder Lehrer geworden wäre. Der Weg in die Politik ergab sich erst später.

Ist aus Ihrer Sicht der ND ein Beispiel auch für katholische Jugendarbeit in der Gegenwart?

Der Bund ist schon ein Kind des 20. Jahrhunderts. Vor allem der bündische Charakter ist natürlich etwas Zeitgebundes. Trotzdem gibt es Momente, in denen ich mir wünsche, ein Kölner Kardinal würde heute etwas Ähnliches initiieren.


Zur Person

Bernhard Vogel ist der einzige Politiker, der in zwei Bundesländern Ministerpräsident war. Der Christdemokrat, Jahrgang 1932, war von 1976 bis 1988 Regierungschef in Rheinland-Pfalz und dann von 1992 bis 2003 in Thüringen. Nachdem er zuerst in Gießen die Schule besucht hatte, machte er in München 1953 Abitur. Danach studierte Vogel in München und Heidelberg Politikwissenschaft, Geschichte, Soziologie und Volkswirtschaft. Zu einem wichtiger Lehrer wurde für Vogel dabei, der ursprünglich eine wissenschaftliche Laufbahn anstrebte, der Politik-Professor Dolf Sternberger. Sternberger zählte zu den Gründergestalten der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik. Seine Doktorarbeit widmete Vogel, der vier Jahre als wissenschaftlicher Assistent und später als Lehrbeauftragter am Institut für Politischen Wissenschaften in Heidelberg tätig war, dem Thema „Die Unabhängigen in den Kommunalwahlen westdeutscher Länder“. In dieser Zeit lernte er Helmut Kohl kennen, der damals ebenfalls in Heidelberg studierte, und dessen Nachfolger er später als Ministerpräsident wurde. Vogel war zwischen 1989 und 1993 und von 2001 bis 2009 Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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