Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Nach Angriff auf Israel

Krieg in Nahost: Zeit für Deeskalation

Der Iran versucht jetzt mit rhetorischer Kraftmeierei gegen Israel eine weitere militärische Konfrontation zu vermeiden.
Das israelische Verteidigungssystem Iron Dome
Foto: IMAGO/SAEEDQAQ (www.imago-images.de) | Den Akteuren in Washington und Brüssel scheint klar zu sein, dass eine direkte Eskalation zwischen Israel und dem Iran rasch außer Kontrolle geraten könnte. Im Bild: das israelische Verteidigungssystem Iron Dome.

Neue und verschärfte Sanktionen gegen den Iran, aber keine harte militärische Reaktion Israels auf die gescheiterten iranischen Raketen- und Drohnenattacken vom vergangenen Wochenende: In diese Richtung versuchen die Vereinigten Staaten von Amerika und die Europäische Union derzeit zu steuern. Den Akteuren in Washington und Brüssel scheint klar zu sein, dass eine direkte Eskalation zwischen Israel und dem Iran rasch außer Kontrolle geraten könnte.

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Auch der Erste Weltkrieg begann 1914 mit österreichischen Strafmaßnahmen gegen Serbien; viele dachten damals an einen kurzen, regionalen und steuerbaren Krieg, was sich rasch als tragischer Irrtum erwies. Dass ein militärischer Schlagabtausch zwischen Israel und dem Iran heute in ähnlicher Weise außer Kontrolle geraten könnte, denkt auch der Konfliktforscher Tareq Sydiq von der Universität Marburg. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur sagte er: "So eine Eskalationsspirale entgleitet sehr schnell und sehr einfach, weil für beide Seiten sowohl Eskalation als auch Deeskalation riskant ist." Keiner wisse genau, "wie die andere Seite reagieren wird und ab welchem Zeitpunkt ein Krieg auch unausweichlich wird". Er schätze das Risiko als "sehr hoch" ein.

Zum direkten Schlag gezwungen

Tatsächlich hatte sich der Iran bis vor wenigen Tagen darauf beschränkt, seinen "Erzfeind" Israel aus dem Schatten heraus zu attackieren: vor allem über die im Libanon beheimatete schiitische Hisbollah und über die jemenitischen Huthis. Seit dem tödlichen Angriff auf ein iranisches Botschaftsgebäude in der syrischen Hauptstadt Damaskus am 1. April, bei dem zwei Brigadegeneräle und weitere Vertreter der iranischen Revolutionsgarden ums Leben kamen, sah sich Teheran zu einem direkten Schlag gezwungen: um international das Gesicht zu wahren und die Macht im eigenen Land nicht zu gefährden.

Mehrere Indizien sprechen aber dafür, dass die Entscheider in Teheran mit ihren Militärschlägen keinen größeren Schaden anrichten und auch keine Eskalation auslösen wollten: So wurde der Drohnen- und Raketenangriff vom vergangenen Wochenende nicht mit der militärisch hochgerüsteten Hisbollah synchronisiert, der Zeitpunkt der Attacken wurde im Voraus angekündigt und die iranische Führung ließ die Angriffe feiern, obwohl sie militärisch betrachtet ein Fehlschlag waren, weil nahezu alle 300 Drohnen und Raketen abgefangen wurden. 

Auch rhetorisch machten iranische Vertreter deutlich, dass sie nicht daran interessiert sind, weiter an der Eskalationsschraube zu drehen. "Diese Aktionen waren notwendig und verhältnismäßig", sagte der iranische UN-Botschafter Amir Saeid Iravani. Es sei eine "in Ausmaß und Größe begrenzte Operation" gewesen, meinte Irans Präsident Ebrahim Raisi, der zugleich vor israelischen Gegenschlägen warnte: Die iranischen Revolutionsgarden würden ab sofort "wann immer das zionistische Regime unsere Interessen, Besitztümer, Individuen und Bürger angreift, von der Islamischen Republik Iran aus Vergeltung üben". Hinter solch rhetorischer Kraftmeierei ist eine Strategie der Kriegsvermeidung erkennbar, etwa wenn Raisi warnt, dass "die kleinste Aktion gegen die nationalen Interessen des Iran umfangreiche, schmerzhafte Konsequenzen haben" werde.

Der Iran will den direkten militärischen Konflikt mit Israel meiden

Offenbar scheint es den Machthabern in Teheran nicht opportun, in einen direkten militärischen Konflikt mit Israel zu geraten. Das aber wäre auch nicht im Interesse Israels, das sich schon jetzt einem Mehrfrontenkrieg ausgesetzt sieht. Darum arbeiten die engsten Verbündeten Israels in Amerika und Europa nun an einer Doppelstrategie: Sie wollen politisch reagieren, nicht militärisch. So kündigten der Sicherheitsberater von US-Präsident Biden, Jake Sullivan, und der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell am Dienstag unabhängig voneinander neue Sanktionen gegen den Iran an. Doch Israels Premierminister Benjamin Netanjahu will sich alle militärischen Optionen weiter offenhalten. Und der Schattenkrieg zwischen Israel und dem Iran geht ohnedies weiter: in Syrien wie im Libanon.

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Stephan Baier Benjamin Netanjahu Deutsche Presseagentur Hisbollah Philipps-Universität Marburg

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