Das gab es bisher so auch noch nicht: Mitten in den Koalitionsverhandlungen sind die Zwischenergebnisse einzelner Verhandlungsgruppen komplett in die Öffentlichkeit gelangt. Während aus den Verhandlungen zur Ampelkoalition nichts nach außen drang, ist es dieses Mal bereits nach rund zwei Wochen Verhandlungen möglich, einen Blick auf die Vorhaben der wohl nächsten Regierung zu nehmen. Mit dabei: kostenlose Verhütungsmittel und mehr Ausbildung zu Schwangerschaftsabbrüchen.
„Für uns gehört der Zugang zu Verhütungsmitteln zu einer verlässlichen Gesundheitsversorgung“, so heißt es im Ergebnispapier der „Arbeitsgruppe Familie, Frauen, Jugend Senioren und Demokratie“. „Deswegen überprüfen wir die Möglichkeit einer solidarisch finanzierten Abgabe von Verhütungsmitteln für Frauen und Männer.“ Im Klartext: Kondome und Ähnliches soll zukünftig die Allgemeinheit bezahlen. Bisher sind Verhütungsmittel weitgehend Privatsache, bis zum 22. Lebensjahr übernehmen gesetzliche Krankenkassen allerdings grundsätzlich die Kosten für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel wie die Pille.
Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen soll verbessert werden
Auch die derzeitige Gesetzeslage im Kontext ungewollter Schwangerschaft sehen die künftigen Koalitionäre offenbar als unzureichend an. „Wir wollen Frauen, die ungewollt schwanger werden, in dieser sensiblen Lage umfassen unterstützen, um auch das ungeborene Leben bestmöglich zu schützen“, so das Verhandlungspapier. „Sie sollen die notwendige Beratung und Hilfe bekommen, um eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können. Dort, wo Hilfsangebote nicht ausreichen, wollen wir Verbesserungen anstoßen.“ Interessant wird es im nächsten Satz: „Auch die Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen werden wir kurzfristig auf Basis wissenschaftlicher Empfehlungen verbessern.“
Hier liegt einiger Interpretationsspielraum: Die 2024 in Auszügen veröffentlichte, öffentlich finanzierte ELSA-Studie spricht davon, dass fast 60 Prozent der befragten Frauen auf Schwierigkeiten bei der Organisation eines Schwangerschaftsabbruchs oder der Informationsbeschaffung gestoßen wären. Die Lebensschutzorganisation „Alfa“ spricht bei der Studie allerdings von „erheblichen methodischen Mängeln“, was nicht weiter überraschend sei, da die federführende Studienautorin Daphne Hahn gleichzeitig die ehemalige, langjährige Bundesvorsitzende von Pro Familia sei. Von einer prekären Versorgungslage könne keine Rede sein.
Ärztliche Ausbildung: mehr Angebote im Bereich Schwangerschaftsabbrüche
Eindeutig ist die Marschrichtung beim Thema ärztliche Ausbildung. So heißt es in dem Papier, man baue „Angebote für medizinische Weiter- und Fortbildung im Bereich Schwangerschaftsabbrüche aus“. Während der Schwangerschaftsabbruch zumindest als sogenannte Ausschabung – die auch bei anderen Indikationen nötig sein kann – Teil der Facharztausbildung Gynäkologie ist, darf bislang niemand, auch kein Assistenzarzt in der gynäkologischen Ausbildung, zur tatsächlichen Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs verpflichtet werden. Laut der bereits erwähnten Gesundheitswissenschaftlerin Hahn würden 49 Prozent der gynäkologischen Assistenzärzte in katholischen Krankenhäusern den Abbruch nicht erlernen. Welche Auswirkungen die Pläne der künftigen Koalitionäre tatsächlich haben werden, bleibt unklar, nachdem zumindest die Gewissensfreiheit der Ärzte nicht thematisiert wird.
Die vor einigen Tagen kolportierte SPD-Forderung nach einer Paragraph-218-Reform hat es im Übrigen tatsächlich in das Arbeitspapier geschafft, wenn auch als von der Union nicht bestätigte SPD-Forderung. So heißt es im Abschnitt der Arbeitsgruppe „Innen, Recht Migration und Integration“: „Wir regeln selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafrechts und stellen diese nach der Beratungslösung in der Frühphase der Schwangerschaft rechtmäßig.“ Diese und andere Formulierungen werden in den kommenden Wochen auf Ebene der Koalitionsspitzen noch in die eine oder andere Richtung aufgelöst werden müssen. Dass sich die Union allerdings tatsächlich auf eine 218-Reform in Anlehnung an den Ende der letzten Legislaturperiode gescheiterten „Gruppenantrag“ einlässt, gilt den meisten Beobachtern als unwahrscheinlich, zumal bei derart ethisch aufgeladenen Themen oft die Koalitionsdisziplin aufgehoben wird – eine Erwähnung im fertigen Koalitionsvertrag wäre also besonders ungewöhnlich. (DT/jra)
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.