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Sündenbocksuche statt Aufarbeitung

Auch wenn Rassismus im Weltbild des Täters eine Rolle spielte: Ein rechtsextremer Anschlag war das Attentat von Hanau nicht. Die verworrene Tat ist komplexer.
Nach Schüssen in Hanau - Protest gegen rechten Terror
Foto: Paul Zinken (dpa) | In Berlin demonstrieren Menschen gegen rechten Terror. Bei einem mutmaßlich rassistischen Anschlag hat ein 43-jähriger Deutscher im hessischen Hanau mehrere Menschen und sich selbst erschossen.

Das schreckliche Blutbad von Hanau hat Deutschland erschüttert. Was ebenso erschüttert, ist der mediale Umgang damit. Denn ein rechtsextremer Anschlag war das, was jüngst passierte, nach gültiger Definition nicht. Terrorismus setzt politische und ideologische Ziele voraus. Tobias R. dagegen tötete, um sich gegen einen imaginierten Geheimdienst zu wehren, der ihn angeblich seit seiner Geburt überwachte.

Komplexer, als es manches Mantra suggeriert

In der Tat: Rassismus spielte in seinem Weltbild eine Rolle. Zu den Opfern zählen aber nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund, sondern auch die eigene Mutter. Dass sich neunzig Prozent des Bekennerschreibens darum drehen, dass R. Ideengeber des DFB, der Hollywoodindustrie und der US-Strategie im Nahen Osten war, wird ebenso wenig erwähnt wie die Stimmen in seinem Kopf. Die verworrene Tat ist komplexer, als es manches Mantra suggeriert.

Eine redliche Aufarbeitung hätte sich darauf konzentriert, wie ein offensichtlich psychisch kranker Mensch in den Besitz von Waffen kommt. Sie hätte nachgeforscht, wieso der Generalbundesanwalt tatenlos blieb, als R. eine Anzeige wegen „illegaler Überwachung“ stellte. Und sie hätte nach der Tat abgewartet, Fakten gesammelt und über das berichtet, was bekannt war, statt Narrative zu bedienen.

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Tat für eigene Zwecke instrumentalisiert

Stattdessen herrscht Sündenbocksuche. SPIEGEL-Miteigentümer Jakob Augstein und ZDF-Entertainer Jan Böhmermann ließen sich zur Aussage herab, die Publizisten Henryk Broder und Roland Tichy hätten durch Verrohung des Diskurses die Gewalttat zu verantworten. CDU-Mann Ruprecht Polenz ordnete das Geschehen über ein Wirth-Zitat in den Kontext der Weimarer Republik ein. Allerorten war von „Rechtsterrorismus“ zu lesen. Vulgo: die AfD hat mitgeschossen. Die Opfer, die in diesem ideologisch erhitzten Kampf zum zweiten Mal unter die Räder kommen, spielen keine Rolle.

Die Protagonisten tun mit solchen Aussagen genau das, was sie sonst bei islamischen Anschlägen den Rechten vorwerfen: sie instrumentalisieren die Tat eines psychisch gestörten Einzeltäters für ihre eigenen Zwecke. Dabei wäre es an der Zeit, die Hysterie seit der Kemmerich-Wahl endlich herunterzuschrauben. Sie vergiftet das politische und das gesellschaftliche Klima – bis die Spaltung nicht mehr zu überwinden ist.

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