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Kommentar um "5 vor 12": Der Zivilisationsbruch wird mit den Nobelpreis geadelt

Was die Vergabe des diesjährigen Nobelpreises für Chemie wirklich bedeutet. Veränderungen am Erbgut sind in jeder Hinsicht möglich. Das ist ein Zivilisationsbruch.
2020 Nobelpreis für Chemie
Foto: Wei Xuechao via www.imago-images.de | DerNobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr an Emmanuelle Charpentier und Jennifer A. Doudna.

Dass die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften den diesjährigen Nobelpreis für Chemie an die französische Mikrobiologin Emmanuelle Charpentier und die US-amerikanische Biochemikerin Jennifer Doudna für die Entwicklung der Genschere CRISPR/Cas9 verlieh, ist Manches. Nur eine Überraschung ist es nicht. Fachleute hatten die Direktorin der Max-Planck-Forschungsstelle für die Wissenschaft der Pathogene in Berlin und die Professorin der University of California in Berkeley faktisch seit acht Jahren auf dem Zettel.

Wissenschaftliche Revolution

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In ihrer im August 2012 im Wissenschaftsmagazin Science publizierten Arbeit beschrieben beide Wissenschaftlerinnen, wie sich aus einem bei Bakterien gefundenen Abwehrmechanismus gegen Viren ein molekulargenetisches Werkzeug schmieden lässt, das in der Lage ist, den genetischen Code von Pflanzen, Tieren und Menschen zu bearbeiten. Schneller, präziser und preiswerter als mit allen anderen Werkzeugen, die bis dahin zum Einsatz kamen. Seit einigen Jahren gibt es praktisch kein molekulargenetisches Labor mehr, in dem Forscher nicht mit CRISPR/Cas9 oder einer seiner zahlreichen Modifikationen arbeiten. Charpentier und Doudna haben mit der von ihnen entwickelten Genschere die Genforschung und Molekularbiologie tatsächlich revolutioniert.

Mensch nach Forscherbild

Der Chinese He Jiankui hat die Genschere verwandt, um in einem Humanexperiment die ersten genetisch modifizierten Kinder im Labor zu erzeugen, die geboren wurden. Sie werden – so viel ist bereits heute sicher – nicht die letzten sein. Schon deshalb nicht, weil es der Politik aber auch der „scientific community“, der Gemeinschaft der Wissenschaftler selbst, erkennbar am Willen gebricht, in ihrer Bastelwut Menschen außen vor zu lassen.

Mit der Modifikation eines in der Natur aufgefundenen Instruments aus Gottes eigenem Werkzeugkasten haben Charpentier und Doudna aber nicht nur zwei Wissenschaftszweige revolutioniert. Sie haben Menschen in die Lage versetzt, sämtliche, auf der Erde vorkommenden Lebewesen genetisch zu verändern und – nach ihrem eigenen Bild und Gutdünken – umzugestalten. Das kommt einem Zivilisationsbruch gleich, gegen den sich die mythische Erzählung vom Feuer-Diebstahl des Prometheus wie eine harmlose Gute-Nacht-Geschichte ausnimmt. Mit der Vergabe des Nobelpreises für Chemie an beide Wissenschaftlerinnen hat das Nobelpreis-Komitee der Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften auch das prämieren und adeln wollen.

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Stefan Rehder Emmanuelle Charpentier Genetik Jennifer Doudna Molekulargenetik Nobelpreise

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