Genau 100 Tage nach der Parlamentswahl in Österreich, bei der seine FPÖ erstmals bundesweit den ersten Platz errang, strebt FPÖ-Chef Herbert Kickl nach einer Regierung mit der christdemokratischen ÖVP. Für die dreimonatige Verzögerung der Regierungsbildung machte er in einer Pressekonferenz am Dienstagnachmittag in Wien jene verantwortlich, die versucht hätten, „das Wahlergebnis umzudrehen und auf den Kopf zu stellen“. Er selbst habe vorausgesagt, dass das scheitern werde, so Kickl angesichts von „drei verlorenen Monaten“ und einer „chaotischen innenpolitischen Lage“. Vorangegangen war das Scheitern der Regierungsverhandlungen der ÖVP mit SPÖ und NEOS am Freitag und Samstag sowie der Rückzug von Bundeskanzler und ÖVP-Chef Karl Nehammer von der Spitze seiner Partei.
Der FPÖ-Vorsitzende, der von 2017 bis 2019 Innenminister einer ÖVP/FPÖ-Regierung war und seither Oppositionsführer, bilanzierte die schwarz-grüne Regierung vernichtend: „Unser Land wurde an die Wand gefahren in den vergangenen fünf Jahren.“ Es gebe nicht nur ein massives Budgetdefizit, sondern ebenso ein Vertrauensdefizit. Er wolle nun „Österreich ehrlich regieren“. Wer das nicht könne oder wolle, werde kein Partner für die FPÖ sein.
Ihm gehe es keineswegs darum, „unbedingt und um jeden Preis Bundeskanzler zu werden“. Vielmehr wolle er einen „Schulterschluss mit dem Souverän, mit dem Volk“.
„Keine Spielchen, keine Tricks, keine Sabotage“
Kickl betonte, dass es angesichts von Umfragen, die die FPÖ – mit wachsendem Abstand zu ÖVP und SPÖ – auf dem ersten Platz sehen, einfacher gewesen wäre, Neuwahlen anzusteuern. „Aber das wäre der parteitaktische Zugang gewesen.“ Trotz vieler warnender Stimmen, die meinten, er dürfe der ÖVP nicht vertrauen, habe er sich „für den Weg der staatspolitischen Verantwortung entschieden“, denn es brauche „nach dem Niedergang der letzten Jahre einen Wiederaufbau“ und die „Eröffnung einer neuen Ära“.
Mit Blick auf die ÖVP, die bis zum vergangenen Freitag eine Koalition mit Kickl dezidiert ausschloss, sagte der FPÖ-Vorsitzende, man solle „niemandem absprechen, dazuzulernen und klüger zu werden, ja einen neuen Anfang zu machen“. Er halte es „nicht für gut, prinzipiell unversöhnlich zu sein“, darum investiere er jetzt in Vertrauen und halte dem neuen ÖVP-Vorsitzenden Christian Stocker die ausgestreckte Hand entgegen. Das sei nicht leicht, aber ehrlich und professionell.
Herbert Kickl betonte in der Pressekonferenz, bei der Fragen nicht zugelassen waren, die Menschen hätten ein Recht darauf, dass persönliche Befindlichkeiten keine Rolle spielen, wenn es um die Zukunft der Heimat geht. Er erwarte jetzt von der ÖVP nicht nur neue Worte, sondern eine Evidenz neuer Ehrlichkeit. „Keine Spielchen, keine Tricks, keine Sabotage, sondern eine Politik eines Wiederaufbaus und einer neuen Ära.“ Er wolle mit der ÖVP rasch in Regierungsverhandlungen eintreten. Kickl wörtlich: „Wir brauchen rasche Klarheit, ob eine solche Koalition neuen Typs machbar ist mit der ÖVP.“ DT/sba
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