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Keine Blaupause für Lockdowns

Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind keine mathematischen Beweise. Die drängende Frage lautet jetzt, welche Möglichkeiten die Entscheidung zur Bundesnotbremse der neuen Regierung an die Hand gibt.
Verfassungsgericht billigt Schulschließungen in der dritten Welle
Foto: Philipp von Ditfurth (dpa) | Eine Luftqualitätsampel in einer Schule zeigt die Farbe rot während dahinter Schüler in ihrem Klassenzimmer zu sehen sind.

Das Bundesverfassungsgericht hat die von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Frühjahr durchgesetzte sogenannte „Bundesnotbremse“, mit der automatische Ausgangssperren und Schulschließungen beim Erreichen festgelegter Inzidenzen in Kraft traten, für verfassungsgemäß erklärt. Zwar hätten die Maßnahmen in erheblicher Weise in verschiedene Grundrechte eingegriffen, doch seien diese „in der äußersten Gefahrenlage der Pandemie“ mit dem Grundgesetz vereinbar gewesen. So die Entscheidung des Ersten Senats, die am Dienstag bekannt gegeben wurde.

Nicht zwingend, aber maßgeblich

Auch wenn bisweilen ein anderer Eindruck erweckt wird, Urteile des Bundesverfassungsgerichts sind keine mathematischen Beweise, sondern letztlich auch nur Meinungen. In demokratisch verfassten Gesellschaften beenden sie den Streit unterschiedlicher Ansichten und Auffassungen. Sie müssen nicht zwingend geteilt werden, sind aber, will man nicht im Chaos versinken, als maßgeblich zu beachten.

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Wichtiger als die Frage, ob das Bundesverfassungsgericht auch zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können (Antwort: ja) oder müssen (Antwort: nein) ist die, welche Möglichkeiten diese Entscheidung der neuen Regierung an die Hand gibt. Die Antwort ist einfach zu beantworten: Jedenfalls mehr als der neu gewählte Deutsche Bundestag in dem von ihm novellierten Infektionsschutzgesetz bislang vorsieht.

Breiter Ermessensspielraum

Nach dem Beschluss des Ersten Senats können sich Gesetzgeber und die künftige Bundesregierung relativ sicher sein, dass sie bei der Bekämpfung der Pandemie auch in Zukunft so empfindlich wie massiv in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger eingreifen können, sofern diese Eingriffe an festgelegte Größen, wie etwa Inzidenzen, gekoppelt werden oder anderweitig befristet sind. Der Ermessensspielraum, den sie dabei haben, ist jedenfalls weit breiter, als von vielen zuvor gedacht. Eine Blaupause für flächendeckende Lockdowns ist die Karlsruher Entscheidung dennoch nicht.

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