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Irlands Legislative im progressiven Fieber

Ende Juni hat Irland Leihmutterschaft und embryonale Forschung legalisiert; ein Gesetz zur Sterbehilfe steht in den Startlöchern. Indes gehen die Abtreibungszahlen durch die Decke.
Irlands progressive Gesetzgebung
Foto: Copyright: xalexlmxx via imago-i (www.imago-images.de) | Die irische Regierung versucht, eine progressive Agenda durchzusetzen. Doch droht sie dabei, das Vertrauen der Bürger zu verlieren.

Irland, das einst als eines der katholischsten Länder Europas galt, setzt seine Serie progressiver Gesetzesentwürfe fort. Ende Juni verabschiedete der „Oireachtas“, das irische Parlament, den „Assisted Human Reproduction Bill“, mit dem unter anderem Leihmutterschaft sowie Samen-, Eizell- und Embryospenden für Reproduktion und Forschung erlaubt werden sollen. Bereits im Frühjahr empfahl eine Kommission irischer Parlamentarier, Sterbehilfe zu legalisieren. Gleichzeitig zeigt eine vor kurzem veröffentlichte Studie einen immensen Anstieg der Abtreibungszahlen in Irland, seitdem vorgeburtliche Kindstötungen vor fünf Jahren legalisiert worden waren.

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Doch ob die irische Bevölkerung, die 2015 für die gleichgeschlechtliche Ehe und 2018 für ein „Recht“ auf Abtreibung stimmte, auch diese neuen progressiven Gesetze unterstützt, steht auf einem anderen Blatt: Desillusionierung der Wähler und ein schleichender Vertrauensverlust in die Regierung begleiten die progressive Agenda der irischen Regierung. 

Das Gesetz zur „assistierten menschlichen Reproduktion“ reguliert und legalisiert nationale und internationale Leihmutterschaft, Keimzellspende für Forschungszwecke, posthume „assistierte Fortpflanzung“, Forschung an Embryonen und Stammzellen, sowie genetische Präimplantationstests bei Embryonen. 

Senator mahnte zu weniger Emotionalität

Die Debatte um das Gesetz verlief hitzig und gedämpft zugleich. Im Senat debattierte man „exzessiv emotional“, so die Journalistin Maria Maynes im irischen Nachrichtenportal „Gript“. Laut Maynes erntete die Senatorin Mary Seery Kearny (Fine Gael), selbst Mutter eines durch eine Leihmutter ausgetragenen Kindes, in ihrer Rolle als Befürworterin der Leihmutterschaft Applaus in den irischen Medien, und auch im Senat herrschte eine Stimmung vor, die eine politische Diskussion auf die persönliche Ebene zu heben schien. Das ging so weit, dass der unabhängige Senator Michael McDowell, ehemaliger stellvertretender Premier, zu weniger Emotionalität und einer „leidenschaftslosen“ Debatte mahnte. In den Medien selbst fand die Debatte über das Gesetz, das seit 2022 im Gespräch ist, allerdings nur wenig Beachtung, Kritik war selten. 

Nach dem neuen Gesetz ist es auch für Alleinstehende möglich, eine Leihmutter zu beauftragen; ihre Eignung muss aber von einer eigens eingerichteten Behörde geprüft werden. Welche Parameter dabei angelegt werden, bleibt aber außer dem Hinweis auf das Kindeswohl bisher vage. Kritiker stellten auch den Anspruch des Gesetzes infrage, illegale kommerzielle Leihmutterschaft zu unterbinden, denn Leihmütter können sich Schwangerschaftsausgaben, Einkommensverlust und die Kosten für die Kinderbetreuung als „vertretbare Ausgaben“ sogar von den künftigen Eltern erstatten lassen.  

In den sozialen Medien erhielt ein offizielles Video der Regierungspartei „Fine Gael“ zur Leihmutterschaft vor allem negatives Feedback: „Schockierend“ und „eine Schande“ nannten einige der Kommentatoren das Gesetz. In den westeuropäischen Ländern ist Irland mit diesem Gesetz das liberalste Land, was Leihmutterschaft angeht. 

Das Vertrauen in das Volk ist beschädigt

Sowohl bei diesem Gesetz als auch bei einem Gesetzesentwurf zur Sterbehilfe haben die Iren selbst kein Mitspracherecht – möglicherweise eine Folge zweier dramatisch gescheiterter Familien- und Care-Referenden im vergangenen März. Die Regierung hatte die Referenden angesetzt, um den Wortlaut der irischen Verfassung in Bezug auf die Familie und Mütter zu modernisieren. Man rechnete bei der bisher verlässlich progressiven Wählerschaft mit einem sicheren Erfolg und wurde so bitter enttäuscht, dass der irische Premierminister Leo Varadkar seinen Posten abgab.

Dieser Niederlage hat den Referendumsdurst der Regierung möglicherweise erst einmal gelöscht. „Ich befürchte, dass die politische Elite bei zukünftigen Referenden die Bremsen so scharf wie möglich anziehen wird“, so David Farrell, Politikprofessor am University College Dublin, gegenüber dem Magazin „Politico“. Eine öffentliche Abstimmung zur Sterbehilfe sieht Farrell nicht kommen. Eoin O’Malley, Politikprofessor an der Dublin City University, bezeichnete den Mangel an Debatte zur Sterbehilfe als „besorgniserregend“. Das politische System habe die Tendenz, wichtige Gesetze, die man als progressiv bezeichnen könnte, „durchzudrücken“, ohne die Folgen zu berücksichtigen.

Die katholischen Bischöfe Irlands verurteilten den Gesetzesentwurf und standen in den Medien für das Lebensrecht jedes Menschen bis zum natürlichen Tod ein. Für Gino Kelly, Abgeordneter der linken Partei (People Before Profit/Solidarity) sollte das aber für die katholische Wählerschaft Irlands kein Problem sein: „Die Leute identifizieren sich vielleicht als katholisch, sind aber liberal bei Themen (wie diesem)“, so Kelly gegenüber Politico. „Die Macht der katholischen Kirche hat abgenommen, und das spiegelt sich in der öffentlichen Meinung wieder“. 

Eine „Epidemie des Verlusts“

Fragen und kritische Stimme häuften sich auch, als Ende Juni eine Statistik veröffentlicht wurde, die im Jahr 2023 in Irland einen markanten Anstieg an Abtreibungen verzeichnete: Eines von sechs Babys, fasste die Sprecherin von „Pro Life Campaign“, Eilís Mulroy, zusammen, sei in Irland im letzten Jahr durch eine Abtreibung ums Leben gekommen. Mit über 10.000 Abtreibungen habe sich die Zahl der Abtreibungen seit der Legalisierung 2018 um 250 Prozent gesteigert. „Langjährige Mitglieder dieser Regierung, die die Einführung des neuen Abtreibungsregimes beaufsichtigten, versprachen, dass Abtreibungen ,selten‘ sein würden“, so Mulroy. Die Politik würde den Fragen und Vorwürfen, die die Statistik aufwerfe, aus dem Weg gehen. „Sie stehen in der Verantwortung.“

Laut der unabhängigen Abgeordneten Carol Nolan sei Irland mit einer „Epidemie des Verlusts“ konfrontiert. „Tausende Frauen werden durch die Überbewerbung von Abtreibung als die einzig mögliche Reaktion bei einer Schwangerschaft unter bestimmten Umständen und der grausamen Unterbewerbung von lebensbejahenden Alternativen betrogen“, so Nolan. Mulroy begrüßte die Ergebnisse irischer Lokalwahlen, bei denen Politiker mit einer positiven Einstellung zum Lebensrecht besser abschnitten.

Die irische Regierung und ihre Wähler scheinen angesichts dieser progressiven Reizthemen auseinanderzudriften. Bei den gescheiterten Referenden im März hatte es laut Analysen viele Protestwähler gegeben. Aber auch viele, denen die vorgeschlagenen Änderungen zu undifferenziert waren, die der Ansicht waren, dass sie zwar medial gut klangen, tatsächlich aber der Regierung Verantwortung für Pflegebedürftige abgenommen hätten. Und auch unter den Protestwählern ist zu differenzieren: Konservative, denen die Änderungen an der Verfassung zu „woke“ waren, dürften darunter gewesen sein. Genauso aber auch solche, die sich mit den undurchsichtigen Methoden dieser Regierung nicht zufriedengeben möchten. 

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Sally-Jo Durney Leihmütter

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