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Pflege und Familie: Irland stimmt ab

Die Iren stimmen bei zwei Referenden über Änderungen an ihrer Verfassung ab. Doch kurz vor den Wahlen werden hässliche Vorwürfe laut.
Am 8. März stimmt die grüne Insel über die Definition der Familie  und den Begriff der Mutter in der irischen Verfassung ab.
Foto: vepar5 via imago-images.de (www.imago-images.de) | Am 8. März stimmt die grüne Insel über die Definition der Familie und den Begriff der Mutter in der irischen Verfassung ab.

Die irische Verfassung bildet die heutige Gesellschaft nicht ab, indem sie sagt, dass der Platz der Frau zuhause ist“, tweetete die Ministerin für Medien, Catherine Martin. Das, so der Kontext der Aussage, soll sich jetzt ändern: Irland soll wieder einmal wählen. Am Freitag, den 8. März, geht es um die Änderung von zwei Artikeln in der irischen Verfassung, die sich mit der Definition der Familie und mit der Pflege beschäftigen. Hinter den Referenden stehen fast alle politischen Parteien Irlands, immer unter den Stichworten Gleichberechtigung, Inklusion, Vielfalt und Modernisierung. Unterstützt werden sie dabei von zahlreichen NGOs wie dem „National Womens' Council“ oder „Womens' Aid“.

Es sind durchaus signifikante Änderungen, die den Weg Irlands in eine zunehmend säkularisierte Zukunft zementieren würden. Und: Sie kommen zu einem bedeutenden Zeitpunkt. Nicht nur finden die Referenden am Internationalen Frauentag am 8. März statt: Die Abstimmung kommt kurz vor einer Anhörung beim irischen Supreme Court, bei dem es um systemische Ungerechtigkeit dabei geht, wie der Staat irische Familienangehörige bei der Pflege unterstützt – und in dem sich die Kläger gegen den Staat in signifikanter Weise auf den Artikel berufen, der jetzt geändert werden soll.

Familie und Ehe trennen

Die irische Verfassung anerkennt aktuell die Familie als „natürliche erste und fundamentale Einheitsgruppe der Gesellschaft“ an sowie als „eine moralische Institution, die unveräußerliche und unantastbare Rechte“ besitzt, die jedem Gesetz „vorausgeht und es übersteigt“. Die Verfassung erklärt weiter, dass der Staat sich dazu verpflichte, die Institution der Ehe, „auf die die Familie gegründet ist“, mit besonderer Umsicht zu bewahren und vor jedem Angriff zu schützen.

Die Regierung schlägt vor, einen Halbsatz einzufügen, sodass der Staat anerkennen würde, dass die Familie, „egal, ob sie auf die Ehe oder andere andauernde Beziehungen gegründet ist“, die grundlegende Einheit der Gesellschaft ausmacht – entsprechend wird dann die spätere Formulierung, dass die Ehe der Grundbaustein für die Familie sei, aus der Verfassung gestrichen. „Die vorgeschlagenen Änderungen würden, wenn sie umgesetzt werden, einen zunehmenden Abbau der Familie in der irischen Verfassung repräsentieren“, so Donal O´Sullivan-Latchford, Autor für den „National Catholic Register“ und Sprecher für das ThinkTank „Family and Media Association“ gegenüber dieser Zeitung. Die Familie sei, so O´Sullivan-Latchford, bereits durch die Einführung der Scheidung in den Neunzigern und der gleichgeschlechtlichen Ehe 2015 neu definiert und verwundet worden.

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O´Sullivan-Latchford sieht besonders die Formulierung „andauernde Beziehung“ kritisch. „Niemand weiß, was ,andauernd‘ bedeutet“, so der Katholik. „Diese Änderung würde die Familie und die Ehe ipso facto entwerten, indem sie in der Verfassung die notwendige Verbindung zwischen den Institutionen auflöst.“ Senator Michael McDowell, früherer Tánaiste (irischer Vizeministerpräsident) und Mitgründer der Initiative „Lawyers for No“, die sich gegen beide Referenden aussprechen, gibt zu bedenken, dass das, was „andauernde Beziehungen“ seien, nach dem Referendum nicht die Regierenden, sondern die Gerichte entscheiden müssten – in sogenannten „hard cases“, also schwierigen Fällen, die schlussendlich, so der Jurist, zu „schlechten Gesetzen“ würden. McDowell warnt deshalb vor unvorhersehbaren Konsequenzen im Familienrecht, bei der Rente, im Erb-, Steuer- und Einwanderungsrecht.

Kein Mehrwert für Pfleger oder Pflegebedürftige

Die zweite Änderung betrifft den Bereich der Pflege – und den einzigen Artikel in der irischen Verfassung, in der der Begriff „Mutter“ vorkommt. Die irische Verfassung erkennt darin an, dass „die Frau durch ihr Leben im Zuhause dem Staat Unterstützung zukommen lässt, ohne die das Gemeinwohl nicht erreicht werden kann“. Deshalb ist es die Pflicht des Staates, sich darum zu bemühen, dass „Mütter nicht durch wirtschaftliche Notwendigkeit dazu verpflichtet werden“, außerhalb des Zuhauses zu arbeiten, damit sie ihren „Pflichten im Haus“ nachkommen können.

Beide Artikel sollen gestrichen und durch folgende Formulierung ersetzt werden: „Der Staat erkennt an, dass die Bereitstellung von Pflege durch Familienmitglieder wegen ihrer gegenseitigen Verbundenheit dem Staat Unterstützung zukommen lässt, ohne die das Gemeinwohl nicht erreicht werden kann. Der Staat wird danach streben, diese Bereitstellung zu unterstützen.“

Kritiker weisen darauf hin, dass die vorgeschlagene Neuformulierung weder Pflegebedürftigen noch pflegenden Angehörigen irgendwelche neuen Rechte verleiht: „Das ist ein Schlag ins Gesicht für behinderte Bürger und die riesige Gemeinschaft und das Netzwerk von Pflegern“, so Senator Tom Clonan, dessen eigenes Kind auf lebenslange Pflege angewiesen sein wird. „Ein Budget von 23 Millionen Euro für ein Referendum aufzuwenden, das keinen direkten Effekt auf Pfleger und Pflegebedürftige hat, ist, unserer Ansicht nach, rechtlich und politisch sinnlos und fehlgeleitet“, so „Lawyers for No“.

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Laut der Initiative ist auch die Behauptung, dass die irische Verfassung bestimme, dass der Platz der Frau zuhause sei, „gänzlich falsch“. Im Gegenteil erkenne der Artikel die bedeutende Rolle an, die Ehefrauen und Mütter zuhause einnähmen – weil die Gesellschaft davon immens profitiere. In keiner Weise könne die Formulierung dahingehend verstanden werden, dass Frauen vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen oder aufs eigene Zuhause beschränkt werden sollen.

Dass Frauen in Irland tatsächlich in vielen Fällen arbeiten müssen, obwohl sie lieber zuhause bleiben würden, ist in Irland aber wohl Realität. Das legen die Ergebnisse einer Studie des Iona Institute for Religion and Society vom Februar 2024 dar. „Mehr als zwei Drittel der Mütter, die minderjährige Kinder haben, würden lieber zuhause bleiben (…), wenn sie es sich leisten könnten“, so das Institut. Über 70 Prozent der befragten Mütter fühlten sich von der Gesellschaft in ihrer Arbeit als Mutter nicht wertgeschätzt.

Für das früher als besonders familienfreundlich geltende Irland bedeuten die Referenden eine kulturelle Kehrtwende: „Das Leben und die Familie waren früher felsenfest im Zentrum irischer Kultur und ihrer Verfassung verankert“, so Donal O´Sullivan-Latchford. „Diese Position wurde mit der Zeit tröpfchenweise ausgehöhlt, durch den Köder des verantwortungsfreien Vergnügens und eine ideologisch feindselige Medienlandschaft.“ Laut O´Sullivan-Latchford gebe es heute aber zunehmend Unsicherheit und Verwirrung über die Rolle und die Bedeutung von Mutterschaft. Dazu, dass der Begriff „Mutter“ aus der Verfassung gestrichen würde, meint O´Sullivan: „Es kann sein, dass viele Iren das nicht wirklich unterstützen würden. Doch ihnen wurde weisgemacht, dass es irgendwie progressiver und sogar fairer wäre, diesen Begriff herauszunehmen, anstatt ihn an Ort und Stelle zu lassen.“

Intransparenz und Falschinformation

Die Initiative „Lawyers for No“ wirft der Regierung in der Vorbereitung des Referendums Undurchsichtigkeit vor. Es sei „besonders enttäuschend“, dass Minister der irischen Regierung die „Unwahrheit“ verbreiteten, dass die irische Verfassung den Platz der Frau im Zuhause verorte – wie die Ministerin Catherine Martin auf Twitter. Auch würden Dokumente und Protokolle über Beratungen über das Referendum im Vorfeld unter fadenscheinigen Begründungen der Öffentlichkeit und dem Senat vorenthalten.

„Lawyers for No“ kritisierten außerdem, dass die Regierung bei ihrer Werbung für ein „Ja“-Kreuzchen exzessiv von NGOs unterstützt worden seien, die gleichzeitig von der Regierung finanziell unterstützt werden, wie zum Beispiel der „National Womens' Council“. Die Initiative verweist auf eine Äußerung des Ministers für Kinder und Integration, Roderic O´Gorman, der gegenüber der „Irish Times“ sagte, progressive NGOs müssten sich rechtfertigen, wenn sie die Kampagne der Befürworter des Referendums nicht unterstützten. Umgekehrt seien Kritiker des Referendums bei der Öffentlichkeitsarbeit auf sich alleingestellt.

„Wenn man die Dublin Street entlangläuft, muss man schon Glück haben, um ein Nein-Poster zu sehen“, beschreibt O´Sullivan-Latchford die Situation. In Irland seien die Medien und die Politik normalerweise einstimmig, auch wenn es während Referendumskampagnen strenge Regeln beim Rundfunk gebe. „Es ist schwer zu wissen, was die Iren wirklich glauben“, so der Katholik. „Umfragen zeigen, dass immer mehr Menschen verwirrt und unentschieden sind. Ist das wirklich eine Überraschung?“

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