Hat die schottische Regierung Bürgern, die im Umkreis von 200 Metern von Abtreibungskliniken wohnen, verboten, in ihren Privaträumen zu beten? Nachdem der US-Vizepräsident J.D. Vance das in seiner viel beachteten Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz nahegelegt hatte, sorgt diese Frage für Diskussionen.
Vance sprach bei seinem Auftritt am vergangenen Freitag von Briefen, die die schottische Regierung seit Oktober an ihre Bürger verteilt habe, deren Häuser in sogenannten „Sicheren Zugangszonen“ zu Abtreibungskliniken liegen. Darin sei gewarnt worden, „dass selbst das private Gebet in den eigenen vier Wänden eine Gesetzesübertretung darstellen könnte“. Zudem habe die Regierung dazu aufgefordert, „jeden Mitbürger zu melden, der in Großbritannien und ganz Europa eines Gedankenverbrechens verdächtigt wird“, so Vance.
Regierungssprecher weist Vorwurf zurück
Daraufhin hatte die FAZ in einem Faktencheck zur Rede des US-Vizepräsidenten einen Sprecher der schottischen Regierung mit den Worten zitiert, das Gesetz umfasse lediglich rücksichtsloses Verhalten. Dass ein stilles Gebet zuhause untersagt sei, habe den Anwohnern kein Brief nahegelegt.
Das Gesetz, auf das sich der Regierungssprecher bezog, ist der sogenannte „Abortion Services (Safe Access Zone) (Scotland) Act 2024“. Es wurde im September 2024 vom schottischen Parlament angenommen und wertet es als Straftat, Frauen „absichtlich oder rücksichtlos“ davon abzuhalten oder dabei zu behindern, eine Abtreibungsklinik aufzusuchen. Ebenso gilt es als Straftat, sie „zu belästigen, zu verängstigen oder in Bedrängnis zu bringen“ – immer unter der Voraussetzung, dass sich die betroffenen Personen innerhalb der „Sicheren Zugangszone“ befinden, die auch als „Bannmeilen“ bekannt sind. Als eine solche Zone gilt ein Umkreis von 200 Metern um Abtreibungskliniken.
Der Brief, auf den sich der US-Vizepräsident Vance mutmaßlich in seiner Rede bezog, fasst die Bestimmungen des Gesetzes noch einmal zusammen. Dass es unter den Straftatbestand fallen könnte, im Umkreis von 200 Metern von Abtreibungskliniken in Privaträumen zu beten, steht zwar nicht explizit in dem Brief. Allerdings heißt es wörtlich: „Aktivitäten an einem privaten Ort (wie einem Haus) innerhalb des Gebietes zwischen den geschützten Räumlichkeiten und der Grenze einer Zone könnten eine Straftat sein, wenn sie innerhalb der Zone gesehen oder gehört werden können und absichtlich oder rücksichtslos ausgeübt werden.“
Dass Lebensschützer alarmiert sind, ist nachvollziehbar
Ob ein stilles Gebet dem Brief zufolge als Straftat gewertet werden würde, liegt wohl im Auge des Betrachters. Dass Lebensschützer alarmiert sind, ist jedoch nachvollziehbar: Denn schon einmal wurde in Großbritannien ein Mann zu einer Geldstrafe verurteilt, nachdem er in der Nähe einer Abtreibungsklinik und gleichzeitig innerhalb einer „Sperrzone“ mehrere Minuten lang still gebetet hatte. Auch diesen Fall kritisierte Vance in seiner Rede in München.
Vances zweiter Kritikpunkt an der schottischen Regierung – die Aufforderung, Mitbürger zu melden, wenn man von Verstößen gegen das „Bannmeilen“-Gesetz erfahre – ist in dem Brief tatsächlich zu finden, allerdings weniger ausufernd, als der US-Vizepräsident es formuliert hatte. In dem Schreiben ist der Hinweis enthalten, man könne „eine Gruppe oder eine Einzelperson, die Ihrer Meinung nach gegen das Gesetz verstößt“, melden – mitsamt einem Link zur dazugehörigen Website der schottischen Polizei. DT/mlu
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