Mit pro-palästinensischen Zwischenrufen wie „Stoppt den Völkermord“ und „Free Gaza“ wurde bei der Eröffnung der Salzburger Festspiele am Samstagmittag die Rede von Vizekanzler Andreas Babler (SPÖ) gestört. Die Aktivisten wurden von Sicherheitskräften aus dem Saal gebracht. In Anspielung darauf meinte die diesjährige Festrednerin, die aus einer amerikanisch-jüdischen Familie stammende US-Historikerin und Pulitzer-Preisträgerin Anne Applebaum: „Ich leide unglaublich unter den Bildern der im Gazastreifen verhungernden Kinder. Israel muss das humanitäre Völkerrecht einhalten und dafür sorgen, dass das Leid im Gazastreifen sofort beendet wird.“
Österreichs Bundespräsident Alexander Van der Bellen bekannte sich in seiner Schlussrede nachdrücklich als „Freund Israels“, der aber nicht jede Maßnahme der israelischen Regierung rechtfertige. „Die Zustände in Gaza sind niederschmetternd“, so Van der Bellen. Man dürfe aber nicht aus dem Blick verlieren, was im Oktober 2023 in Israel geschah.
Verlust an Sozialkapital und Solidarität
Applebaum sieht die Zivilgesellschaft und ihre Freiheit heute erneut in Gefahr, und zwar deutlich mehr als in den letzten zwei Generationen. Der russische Präsident Wladimir Putin habe beim Geheimdienst KGB gelernt, allen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten zu misstrauen. Er betrachte bis heute Nichtregierungsorganisationen (NGOs) als Spione, die sich in Russland selbst als ausländische Agenten deklarieren müssten, auch solche, die apolitisch und rein philanthropisch sind. Als Beispiele nannte die Historikerin die Gedenkorganisation „Memorial“ und das Sacharow-Zentrum.
„Der Angriff auf die Zivilgesellschaft geht über Russland hinaus“, so Anne Applebaum, die Belarus, China und Venezuela als Negativ-Beispiele nannte. Georgien und Ungarn bezeichnete sie als „gefährdete Demokratien“. Russland warf sie vor, in der Ukraine Folterkammern und Konzentrationslager zu betreiben. „Die russischen Besatzer fürchten jede Form von Zivilgesellschaft, weil sie sie nicht verstehen und nicht kontrollieren können“, so Applebaum, die mit dem polnischen Vizepremier und Außenminister Radoslaw Sikorski verheiratet ist, der sie auch nach Salzburg begleitete. Sie kritisierte auch technische Neuerungen, die den „Verlust an Sozialkapital und Solidarität“ bewirken können. Viele Menschen würden im Internet abtauchen, statt sich in NGOs zu engagieren. Dort aber zähle die Lautstärke, nicht die Problemlösungen und Debatten. DT/sba
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