Die Weihnachtszeit – ja, die Winterzeit insgesamt – weckt bei vielen Menschen Kindheitserinnerungen: an gemeinsame Familienunternehmungen, an den Zirkusbesuch oder den Gang ins Kino. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts rückt für viele Familien und Freundeskreise eine Kulturform wieder stärker in den Mittelpunkt: der gemeinsame Serienabend, nicht selten ausgedehnt zum regelrechten Serienmarathon.
Fernsehserien hatten schon früher gemeinschaftsstiftende Kraft. In den 1960er- und 1970er-Jahren, als das öffentlich-rechtliche Fernsehen den Takt vorgab, wurden einzelne Sendungen zu „Straßenfegern“. Sie verlangten Geduld, erzählerische Aufmerksamkeit und eine gewisse Bereitschaft zur Bindung. Heute sind es die Streamingdienste, die diese Tugenden – trotz ihres Überangebots – teilweise wiederbeleben.
Die neue Netflix-Zeit
Mit Netflix begann das Streaming-Zeitalter. Bald folgten andere Anbieter: Amazon mit Prime Video, Disney+ mit seinem umfangreichen Archiv aus Filmklassikern, Animationsfilmen, Science-Fiction- und Dokumentarstoffen, neuerdings ergänzt durch Hulu. Auch Apple TV+ hat sich als Plattform für hochwertige Serien etabliert.
So sehr manche dieser Dienste dem Zeitgeist – etwa in Fragen von „Diversität“ und LGBT-Themen – Zugeständnisse machen, war 2025 ein gutes Serienjahr. Zahlreiche Produktionen bewiesen, dass anspruchsvolle Unterhaltung möglich ist, wenn sie auf gutes Drehbuchhandwerk, glaubwürdige Figuren und erzählerische Disziplin setzt.
Eine ganze Reihe davon habe ich Ihnen im Laufe des Jahres auf der Seite 23 der Tagespost-Printausgabe vorgestellt – darunter einige freudige Überraschungen wie die Netflix-Produktionen „Undercover im Seniorenheim“, „The Residence“, „Adolescence“ und „Eternauta“ sowie die Amazon-Serie „Das Haus David“.
Sequels: Fluch und Segen der guten Film-Tat
Zugleich war 2025 ein Jahr der Fortsetzungen. Erfolgreiche Formate bewiesen ihre Standfestigkeit: „Severance“, die Serie, mit der Apple TV+ in Sachen Science-Fiction neue Maßstäbe gesetzt hat, vertiefte in der zweiten Staffel die existenziellen Fragen nach Arbeit, Identität und Freiheit. Für die zweite Staffel einer der angegebenen Überraschungen des Serienjahres, „Undercover im Seniorenheim“, mussten Netflix-Zuschauer nicht einmal auf das neue Jahr warten. Voraussichtlich 2026 soll die Amazon-Serie „Das Haus David“, die biblisch Fundiertes mit besten filmischen Mitteln verbindet, fortgesetzt werden.
Auf die inzwischen fünfte Staffel von „Only Murders in the Building“, einer der in den letzten Jahren beliebtesten US-amerikanischen Serien, habe ich bereits in der letzten Printausgabe des Jahres hingewiesen. Mitte des Jahres kehrte mit „Black Mirror“ eine Pionierserie der modernen Science-Fiction in ihrer siebten Staffel zurück. Und Ende 2025, Anfang 2026 steht mit der fünften Staffel der Abschluss von „Stranger Things“ an – wohl der erfolgreichsten Serie der vergangenen Jahre. Warum sie zu einem Popkulturphänomen wurde, erfahren „Tagespost“-Leser in der ersten Printausgabe des neuen Jahres.
Kritiker-Tipp: Diplomaten und langsame Pferde
Zum Ausklang des Serienjahres zwei Empfehlungen für lange Winterabende: Die dritte Staffel der im Frühjahr 2023 gestarteten Netflix-Serie „Diplomatische Beziehungen“ („The Diplomat“) bestätigt ihre packende Erzählweise. Sie vertieft nicht nur den geopolitischen Kontext, sondern auch die komplexe Dynamik der Figuren. Im Zentrum steht erneut die US-Diplomatin Kate Wyler (Keri Russell), deren berufliche Verantwortung untrennbar mit privaten Loyalitäten und Konflikten verbunden ist. Die Serie zeigt Politik als menschliches Machtgefüge, in dem Entscheidungen weniger aus Idealen als aus Beziehungen, Eitelkeiten und Zwängen erwachsen – gerade dieser nüchterne Blick gibt ihr Überzeugungskraft.

Ganz anders, aber nicht minder präzise, erzählt „Slow Horses“. Die Apple-TV+-Serie nach den Romanen von Mick Herron folgt den Ausgestoßenen des britischen Geheimdienstes MI5. Unter der Führung des ebenso brillanten wie verwahrlosten Jackson Lamb – grandios gespielt von Gary Oldman – arbeiten jene Agenten, denen man offiziell nicht mehr traut. Eben deshalb erweisen sie sich immer wieder als diejenigen, die den Überblick behalten. Die fünfte Staffel verbindet Terrorismusbekämpfung mit aktueller politischer Kulisse, diesmal der Londoner Bürgermeisterwahl, und wirft einen ernüchternden Blick auf institutionelle Selbstgewissheit.
Beiden Serien ist gemeinsam, dass sie Humor nicht als Selbstzweck einsetzen. Bei „Slow Horses“ ist er scharf und bisweilen böse, „Diplomatische Beziehungen“ setzt eher auf leisen und trockenen Witz. Vor allem aber bauen beide auf etwas, das im Serienbetrieb keineswegs selbstverständlich ist: sorgfältig entwickelte Charaktere. Es sind diese fehlbaren, widersprüchlichen und begrenzten Figuren, die gutes Fernsehen von bloßer Zerstreuung unterscheiden.
In diesem Sinne auf ein ebenso gutes Serienjahr 2026!
„Diplomatische Beziehungen“ („The Diplomat“) 3. Staffel. USA 2025. Schöpferin: Debora Cahn. 8 Folgen à 41–54 Min. Auf Netflix.
„Slow Horses – Ein Fall für Jackson Lamb“, 5. Staffel. Großbritannien 2025. Schöpfer: Will Smith nach der Buchvorlage von Mick Herron. 6 Folgen à 39–51 Min. Auf Apple TV.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.









