Die extreme Linke wird sabotieren, wo sie kann. So viel ist nach der Regierungserklärung des neuen französischen Premierministers Michel Barnier am Dienstagnachmittag klar. Keine Minute dauerte es, bis die Abgeordneten von „La France Insoumise“ (LFI) in zuweilen tumultartige Zwischenrufe ausbrachen, die bis zum Ende der eineinhalbstündigen Rede andauern sollten. Die Strategie des von den Linkspopulisten dominierten Linksbündnisses „Nouveau Front Populaire“ ist klar: weder Mitarbeit noch Kompromisse, sondern maximales Chaos – in der Nationalversammlung wie auf den Straßen.
Barnier plädierte für eine auf Respekt, Dialog und Kompromiss basierende Zusammenarbeit von Regierung und allen im Parlament vertretenen Fraktionen und warnte davor, die Arbeit an dringenden und von den Bürgern erwarteten Antworten zu blockieren. Eine Einladung, die vom linken Spektrum ausgeschlagen wurde, bevor sie ausgesprochen war. Während sich ihre Fraktion wie eine eher nervige Horde von unerzogenen Adoleszenten gebärdete, die mit ihrer verqueren Logik bei den Erwachsenen nicht landet, hatte die Antwort der LFI-Vertreterin Mathilde Panot durchaus Unterhaltungswert. Dem Premierminister, der eine „macronistisch-lepenistische Regierung“ bestehend aus den „schlimmsten Reaktionären“ anführe, hielt sie vor „keinerlei politische Legitimität“ zu haben. Das erste Misstrauensvotum wird nicht lange auf sich warten lassen.
Hauptthema: Verschuldung
„Für die Reichen regieren, heißt gegen das Volk zu regieren.“ Dass Barnier gerade die Reichen besteuern möchte, hatte Panot geflissentlich überhört. „Was wir wollen, ist die Autorität aller“ – also von keinem. Nachdem Macron es abgelehnt hatte, einen Premierminister des Linksbündnisses zu ernennen, das genauso wenig eine parlamentarische Mehrheit erreicht hätte wie die nun von Barnier zusammengeschweißte Koalition, sehen die Roten, nun ja, rot. LFI hat gar ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Staatspräsidenten angestrengt, der sich seinerseits – noch – wie versprochen weitgehend aus Barniers Regierungsgeschäften heraushält und stattdessen zunehmend auf die internationale Spielwiese ausweicht.
Zugegeben, wer von Michel Barniers neuer Regierung den großen Bruch oder die fundmentale Neuausrichtung – egal, in welche Richtung –erwartet hatte, wurde enttäuscht. Das gab dem früheren Premierminister und jetzigen Fraktionsvorsitzenden der Macron-Koalition Gabriel Attal die Gelegenheit, im Anschluss an Michel Barnier die Politik der Macron-Jahre zu verteidigen und – zurecht – zahlreiche Kontinuitäten aufzuzeigen.
Michel Barniers Hauptthema: das „Damoklesschwert Staatsverschuldung“, welches mittlerweile auf eine staatliche Summe von 3228 Milliarden Euro angewachsen ist. Barniers Ziel ist, das Staatsdefizit 2025 auf fünf Prozent zu senken und 2029 den europäischen Grenzwert von drei Prozent zu unterschreiten. Das will er mit einem – allerdings nicht viel näher definierten – Sparkurs und mit höheren Steuern für Spitzenverdiener und Großunternehmen erreichen – ohne deren Wettbewerbsfähigkeit zu gefährden. Steuererhöhungen sind eigentlich ein No-Go für Macrons Partei „Renaissance“ – schon hier deutet sich ein erster Konflikt in der Regierungskoalition selbst an.
Marine Le Pens „Rote Linien“
Neben der Frage, wie genau gespart werden soll, blieb trotz ihrer Länge auch einiges andere an Barniers Erklärung schwammig. Was durchschien, war der klare Wille, nach verschiedenen Richtungen offen zu bleiben. Nachdem er Rassismus, Antiseminismus und Gewalt an Frauen eine klare Absage erteilt hatte, versicherte er, weder am Abtreibungsrecht, noch an der Homo-„Ehe“ zu rütteln. Auch die Arbeit am Euthanasiegesetz will er wieder aufnehmen, wobei sich mancher fragen dürfte, ob es nichts Dringenderes zu tun gäbe.
Steigerung der Lebensqualität, Zugänglichkeit des öffentlichen Dienstes, Schule und Gesundheit gehören zu Barniers Prioritäten, ebenso wie – erst nach einer Stunde angesprochen – öffentliche Sicherheit und Kontrolle der Immigration. Höhere Polizeipräsenz auf den Straßen, Intensivierung des Kampfes gegen Drogen- und Bandenqualität, Schaffung zusätzlicher Gefängnisplätze – neu sind die Intentionen nicht. Das Thema Immigration müsse man jenseits der „ideologischen Sackgasse“ mit Klarsicht und Pragmatismus angehen. Barnier möchte Asylanträge schneller bearbeitet sehen, die Landesgrenzen besser kontrollieren – während Frontex die EU-Außengrenzen wieder besser schützen soll – und Abschiebungen konsequenter durchführen. Gerade in den letzten Tagen erhielten mit dem Mord an der 19jährigen Studentin Philippine im Pariser Bois de Boulogne durch einen ausreisepflichtigen, bereits wegen Vergewaltigung vorbestraften Marokkaner Forderungen nach einer strengeren Kontrolle der Immigration wieder Auftrieb.
Marine Le Pen zeigte sich in ihrer Antwort stellvertretend für den „Rassemblement National“ (RN) staatsmännisch: Ihre Fraktion wird sich zunächst keinem Misstrauensvotum von links anschließen, sondern gibt der Regierung eine Chance. Ihre „roten Linien“ lauten: keine Steuererhöhung für die mittleren und einkommensschwachen Schichten, Einführung des Verhältniswahlrechts, deutlicher Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik. „Nach Ihren Taten werden wir Sie beurteilen“, gibt sie Barnier mit auf den Weg. Während das Linksbündnis auf Boykott setzt, will der RN Kompetenz und Verantwortung zeigen – und sich dadurch von den Linkspopulisten absetzen. An einem Scheitern der Regierung hat er kein Interesse – vorerst. „Die Rede dauert länger als seine Regierung dauern wird“, unterbrach ein Zwischenruf den Premierminister. Ob sich das bewahrheitet, wird maßgeblich davon abhängen, wie schnell es bei Finanz- und Migrationspolitik Resultate gibt.
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