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Die Krise der Vereinten Nationen

Nach den Schrecken des Zweiten Weltkriegs galt die UNO als Hoffnungsträgerin. Heute kämpft sie um Glaubwürdigkeit und Relevanz – und ums finanzielle Überleben.
UN-Vollversammlung
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Weltbühne in Schieflage: UN-Generalsekretär Guterres hat mit allerlei Problemen zu ringen.

Der interne Brandbrief des UN-Generalsekretärs António Guterres Ende Januar war ein Weckruf. Seine Botschaft: Der Organisation wird das Geld knapp. Man müsse 2024 aggressiv sparen. Das heißt im Klartext: Personalkürzungen, Restriktionen bei Auslandsreisen, weitreichender Anwerbestopp und Senkung der Betriebskosten. Die Büros im UN-Hauptquartier in New York werden auf 20 Grad Raumtemperatur heruntergefahren. Das Sicherheitskonzept beim Gebäudeschutz wird überprüft. Sabbaticals sind bis auf Weiteres gestrichen. 70 Prozent der Ausgaben der Vereinten Nationen von jährlich 3,25 Milliarden US-Dollar fielen beim Personal an; es gelte nun, 350 Millionen Dollar einzusparen, so der UN-Chef.

Das Geld wird knapp

2023 gingen bei der Weltorganisation lediglich 82,3 Prozent der benötigten Finanzmittel ein. Der niedrigste Wert der letzten fünf Jahre: Nur 142 der 193 Mitgliedstaaten entrichteten ihre Beiträge vollständig – ebenfalls der niedrigste Wert innerhalb der genannten Periode. Infolgedessen stiegen die Zahlungsrückstände von 330 Millionen US-Dollar zum Jahresende 2022 auf 859 Millionen US-Dollar im Jahr 2023. Die Ursache der Liquiditätskrise ist die niedrige Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten. Beiträge kommen unregelmäßiger und in ihrer Höhe unvorhersehbarer. 2023 blieben die Eingänge fast das ganze Jahr über hinter den Schätzungen zurück und lagen 529 Millionen Dollar unter den Erwartungen. Selbst die USA als Hauptfinancier mit jährlich rund 344 Millionen Zuwendungen hinken hinterher.

Neun Staaten stoppten ihre Unterstützung der Palästinenser-Hilfsorganisation UNRWA aus Protest gegen deren angebliche Nähe zur Terrorgruppe Hamas. Der Fall wird nun intern wie extern untersucht. Acht Staaten zahlen seit Jahren gar nichts mehr. Deutschland ist viertgrößter Beitragszahler und bestreitet zusammen mit den USA, China und Japan mehr als die Hälfte des Budgets. Hinzu kommen noch die mittels anderer Finanzierungsmechanismen zu unterhaltenden, häufig kontroversen Friedensmissionen mit 6,4 Milliarden Dollar. Guterres sandte inzwischen einen Bettelbrief an alle Mitgliedsstaaten und ermahnte diese zur Beitragsdisziplin. 2023 bezifferte er überdies eine Finanzierungslücke von geschätzten 4,2 Billionen Dollar zur Erreichung der UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung. Die Weltorganisation kostet heute rund 40-mal mehr als noch in den 1950er Jahren.

Ein Skandal jagt den nächsten

Doch die UN-Krise ist nicht nur finanzieller Natur. Die Liste von Skandalen ist lang: Korruption, Missmanagement, Vertuschung von Straftaten in Friedensmissionen, sexuelle Gewalt innerhalb der Organisation, ein bürokratischer Wasserkopf. Dazu kommt eine intransparente und oft politisch motivierte Anwerbepraxis von nicht selten unzureichend qualifiziertem Spitzenpersonal. Einige Neulinge in gehobenen Positionen erhalten Gehälter, die höher ausfallen als für Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft. Man gönnt sich dabei auch gerne einmal Erste-Klasse-Flüge. Hinter vorgehaltener Hand machen viele Mitarbeiter außerdem ihrem Ärger über die als Überbetonung empfundene Hinwendung zu Themen wie Anti-Rassismus und Transgenderismus Luft. Zudem, wer heute als aus einem Industrieland stammender weißer Mann um die 40 einen Job bei der UN anstrebt, kann lange warten. Dies ist zwar keine offizielle Praxis, wird jedoch von Angestellten inoffiziell bestätigt.

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Es gibt teure Ewigkeitsmissionen, die abseits der Öffentlichkeit ein nahezu unsichtbares Dasein führen, wie die seit 1964 bestehende UNFICYP. Diese überwacht in Abwesenheit eines tragfähigen Zypern-Abkommens zwischen der Türkei und Griechenland kostenintensiv die militärische Pufferzone an der innerzypriotischen Grenze. Seit Jahrzehnten warten die Bewohner der West-Sahara unter den Augen der Weltgemeinschaft auf ein Referendum, welches von Marokko, der Unabhängigkeitsbewegung POLISARIO sowie weiterer involvierter Mächte akzeptiert werden könnte. Solange dies nicht geschieht, lebt man mit dem desaströsen Status quo, und mit rund 700 machtlosen Mitarbeitern der Vereinten Nationen, inklusive Militär und Polizeikräften. Nur zwei von vielen vergleichbaren Beispielen.

Die UN betreibt darüber hinaus einen eigenen kaum wahrgenommenen Fernsehkanal und unterhält zahllose Kleinprojekte, deren Effektivität schwer messbar ist und die entwicklungspolitischen Trends unterworfen sind. Zudem gibt es ideologische Herausforderungen: Nicht nur das US-Außenministerium wirft den Vereinten Nationen und seinem Chef eine gespaltene Haltung zur Israel-Thematik vor. Nach den Terroranschlägen der Hamas am 7. Oktober 2023 zierte sich der UN-Generalsekretär zunächst, den dahinterstehenden Anti-Semitismus deutlich zu benennen.

Geberländer äußern zunehmend Missmut

Die Weltgesundheitsorganisation WHO kam in COVID-Zeiten unter Beschuss, nachdem sich ihr Chef, der Äthiopier Tedros Adhanom Ghebreyesus, relativ schweigsam gegenüber China und der Wuhan-Problematik gezeigt hatte. Auch Guterres hält sich mit potenziell kontroversen Aussagen zurück. Besonders zu Taiwan, und generell gegenüber China sowie Saudi-Arabien. In seine Amtszeit fallen überdies keine bemerkenswerten, an sich dringend notwendigen Reformen. Der Generalsekretär ist bei vielen seiner Untergebenen nicht besonders beliebt. Eine Reputation als Verfechter der freien Meinungsäußerung pflegt er eher nicht. Beispiel: Internationale Bedenken hinsichtlich der Folgen von Massenmigration wimmelt er regelmäßig unter dem Verweis auf Populismus ab.

Geberländer äußern inzwischen zunehmend Missmut und fordern immer öfter deutliche Erfolge der UN-Arbeit. Dabei ist unbestritten, dass die Weltorganisation einen unverzichtbaren Beitrag auf dem Gebiet der humanitären Nothilfe leistet. Doch auch hier hagelt es Kritik: Die Vereinten Nationen befinden sich in der Zwickmühle. Aktuelle Beispiele sind unter anderem der Jemen und Gaza. Beim Liefern von Hilfsgütern ist ein gewisses Maß an Koordination mit Rebellen, respektive der Hamas, meist unumgänglich. Kritiker werten dies als Instandhaltung von Regimen. Eine Balance zwischen berechtigtem Tadel und der Achtung von Menschenrechten zu finden, ist daher eine stete Gratwanderung. Die USA setzten die jemenitischen Huthi-Rebellen auf ihre Terror-Liste. Die UN befürchtet nun Engpässe bei der humanitären Versorgung der jemenitischen Bevölkerung.

Mittel für ein neues Anti-Rassismus-Büro

Trotz des drohenden Zahlungsengpasses und der weltweiten Brandherde freut sich António Guterres jedoch gerade über ein neues Investment. Selbst im finanziell schwierigen Jahr 2024 sei es ihm gelungen, Mittel zum Einrichten eines Anti-Rassismus-Büros zu ergattern, so der Generalsekretär. Ohnehin setzt sich Guterres verstärkt für die Schaffung eines sogenannten „sicheren Raumes“ für benachteiligte Ethnien innerhalb der UN ein. Intern gibt es den „Focal Point“ zur Meldung von Diskriminierung. Flankiert wird dieser durch einen neuen UN-Report, der das Thema Rassismus auch international beleuchtet. Dazu präsentiert die UN online Anti-Rassismus- und Ethik-Kurse in Quiz-Form.

Der Unbeteiligte mag sich angesichts solcher Phänomene sowie der Fokussierung der UN auch auf Themen außerhalb ihrer Kernkompetenz vielleicht fragen, ob die Organisation nicht mittlerweile ein unkontrolliertes Eigenleben führt, das bei ihrer Gründung nie so beabsichtigt war? Bei aller möglichen Kritik, eines steht für die meisten Mitgliedsstaaten fest: Man braucht die Vereinten Nationen – vielleicht angesichts der global zunehmenden Konflikte heute sogar mehr denn je.

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