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Die EU hat keine Strategie für Nahost

Zu Israels Vorgehen im Gazastreifen, zu Rufen nach einer Waffenruhe oder zur Zukunft der Palästinenser fand der EU-Gipfel am Freitag keine klare Linie. Ein Zeichen der Schwäche.
Nahostkonflikt- Rafah
Foto: Abed Rahim Khatib (dpa) | Im Gazastreifen tobt der Krieg zwischen Hamas und Israel, und die EU ist sich nicht einig, wie damit umzugehen ist. Im Bild Schäden nach einem Luftangriff in Rafah.

So kraftvoll sich der EU-Gipfel in der Ukraine-Frage erwies, wo er Viktor Orbáns Widerstand überwand und grünes Licht für Verhandlungen über einen EU-Beitritt des kriegsgeplagten Landes gab, so zerstritten präsentierte er sich am Freitag zum Krieg in Nahost. Beide Kriege toben unmittelbar vor der Haustüre der EU: in Osteuropa und am östlichen Mittelmeerrand. Doch auch nach mehr als zwei Monaten gibt es keine einheitliche Position der EU-Mitgliedstaaten zum Krieg Israels gegen die Hamas.

Gewiss, anders als in den Gesellschaften Europas gibt es in der politischen Führungsschicht der EU niemanden, der mit der Hamas sympathisiert oder deren Terrortag verharmlost. Einig ist sich die gesamte EU darin, dass Israel ein Recht auf eine Existenz in Sicherheit hat, dass die Terroranschläge der Hamas ebenso zu verurteilen sind wie deren Praxis, Zivilisten als menschliche Schutzschilde zu missbrauchen. Doch was Israels Vorgehen im Gazastreifen betrifft, herrscht Dissens unter den Regierungschefs. Vor allem diese Frage spaltet: Braucht es eine humanitäre Feuerpause oder einen Waffenstillstand?

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Wie kritisch darf sich die EU angesichts dessen, was am 7. Oktober geschah, gegenüber Israel positionieren? Wie kritisch muss sie sich angesichts dessen, was seither geschieht, äußern? Mindestens vier EU-Mitgliedstaaten hatten am Freitag dafür plädiert, mit Nachdruck eine humanitäre Waffenruhe zu fordern. Sie übten Kritik an jenen Staaten, die (wie Israel selbst) argumentieren, eine Waffenruhe würde Israel daran hindern, die Hamas effektiv niederzuringen.

Die EU ist kein Debattierklub

Ja, für beide Sichtweisen gibt es Argumente. Angesichts des Kriegs, der in Nahost tobt und weiterhin regionales Eskalationspotenzial besitzt, kann sich ein EU-Gipfel aber nicht den Luxus erlauben, zum Debattierklub zu verkommen. Dieser Krieg ist – ebenso wie Russlands Krieg gegen die Ukraine – ganz nah. Und er hat Auswirkungen auf Europa. Eine geschlossene und entschlossene europäische Außenpolitik wäre das Gebot der Stunde. Wenn diese schon während aktuellen Nahostkriegs nicht erkennbar ist, wie sollte die Europäische Union dann bei der Neuordnung nach Ende der Kampfhandlungen irgendein Gewicht entfalten?

Der Anstieg der Gewalt im Westjordanland und die Angriffe von Siedlern auf die dortigen Palästinenser wurden beim EU-Gipfel in Brüssel ebenso diskutiert wie die Frage der Neuordnung des Gaza-Gebietes nach einem Ende der Kampfhandlungen. Diskutiert, aber eben nicht mehr. Das ist in dieser Situation einfach nicht genug. 

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Stephan Baier Hamas

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