Der maronitische Patriarch, Kardinal Bechara Rai, ist eine moralische Autorität im Libanon. Die politische Klasse seines Heimatlandes kritisiert er hart, wirft ihnen gar „unsinnige taktische Manöver“ vor und warnt vor einer nicht nur politischen, sondern existenziellen Krise des Landes an der Levante.
Großteil der Bevölkerung unter Armutsgrenze
Ähnlich argumentiert der Nahostexperte und Projektmanager der „Initiative Christlicher Orient“ (ICO), Stefan Maier, im Interview der „Tagespost“: Der Libanon sei ein Land im freien Fall, meint Maier. „Es wird immer dramatischer. Ein Großteil der Bevölkerung ist unter der Armutsgrenze.“ Es gebe fast keine Medikamente mehr im Land, Strom gebe es allenfalls eine Stunde pro Tag, Treibstoff sei fast nicht zu bekommen.
„Das Problem ist, dass das Land eine Abfolge von Krisen und Katastrophen durchlebt hat“, sagt Maier und nennt den Kriegsausbruch in Syrien 2011, die dadurch ausgelöste größte Flüchtlingstragödie der modernen Geschichte, Versorgungsengpässe, eine demografische Krise und die steigende Kriminalität. Doch nicht alle Probleme seien von außen importiert: „Man muss leider sagen, dass der Libanon von einer durch und durch korrupten politischen Kaste regiert wird, die es zu weit getrieben hat.“
Heute stehe der Libanon vor dem Zusammenbruch. Der Nahost-Kenner wundert sich, dass es noch nicht zu Revolten gekommen ist. Armut, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung könnten aber jederzeit solche auslösen: „Dann genügt ein Funke, und die Situation eskaliert.“ DT/sba
Lesen Sie das vollständige Interview mit dem Nahost-Kenner und Libanon-Experten Stefan Maier in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".