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Corona: Verhängnisvoller schwedischer Sonderweg – Studie belegt Scheitern

Lange wurde Schweden für seine vermeintlich gute Bewältigung der Corona-Krise gelobt. Eine im Nature-Journal veröffentlichte Studie zieht hingegen eine katastrophale Bilanz.
Coronavirus - Schweden
Foto: Wei Xuechao (XinHua) /dpa | Schweden ist in der Corona-Krise einen viel beachteten Sonderweg mit weniger strikten Beschränkungen gegangen.

Die Los Angeles Times resümiert die Ergebnisse einer im renommierten Fachjournal Nature publizierten Untersuchung, die sich mit den während der Pandemie ergriffenen oder unterlassenen Maßnahmen in Schweden befasst. Schweden habe bei der Bekämpfung „scheinbar ausgezeichnet“ abgeschnitten - durch eine Vermeidung von harten Lockdowns und sozialen Abstandsregeln, schreibt Autor Michael Hiltzik in der kalifornischen Tageszeitung.

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Bars und Schulen offen

Die schwedischen Bürger „konnten sich in Bars und Restaurants vergnügen, ihre Schulen blieben offen und irgendwie florierte auch ihre Wirtschaft, und sie blieben gesund“. So hätten es zumindest die „Fans“, besonders die unter den Anti-Lockdown-Befürwortern, behauptet. Eine neue Studie europäischer Forscher begrabe nun alle diese Behauptungen: „Die Studie zeichnet ein verheerendes Bild der schwedischen Politik und ihrer Auswirkungen“, so Hiltzik weiter.

Die federführende Autorin der Studie, die Epidemiologin Nele Brusselaers vom renommierten Karolinska-Institut in Stockholm, und ihre Mitarbeiter von Forschungsinstituten in Schweden, Norwegen und Belgien hätten berichtet, wie die schwedische Regierung absichtlich versucht habe, Kinder einzusetzen, um COVID-19 zu verbreiten und wie sich nicht um Ältere und mit Vorerkrankungen Belastete gekümmert habe. Ziel sei es gewesen, Herdenimmunität hervorzurufen.

Keine Herdenimmunität

Doch dieses Konzept sei gescheitert: „Die geplante ‚natürliche Herdenimmunitäts‘-Pegel sind noch immer nirgendwo in Sicht“, schreiben die Forscher, und eine Herdenimmunität „scheint ohne großflächige Impfungen nicht in Sicht zu sein“, und sie sei in jedem Fall „eher unwahrscheinlich“.

„Vielen älteren Menschen wurde Morphium statt Sauerstoff verabreicht – trotz verfügbarer Bestände -, was ihr Leben im Endeffekt beendete“, konkretisieren die Wissenschaftler. Eine potentiell lebensrettende Behandlung „wurde ohne medizinische Prüfung vorenthalten, und das ohne den Patienten oder seine Familie zu informieren oder ohne nach Zustimmung zu fragen“.

Im dicht besiedelten Stockholm hätten Triage-Regelungen festgelegt, dass Patienten mit Begleiterkrankungen nicht auf Intensivstationen verlegt werden sollten, mit der Begründung, sie würden „wahrscheinlich nicht wieder gesund“ werden, wie die Autoren der Untersuchung schreiben unter Verwendung von Zitaten aus schwedischen gesundheitspolitischen Strategie-Dokumenten sowie aus Statistiken von Forschungsstudien, die darauf hinweisen, dass ältere Patienten in Bezug auf die Aufnahme in Intensivstationen unfair behandelt worden seien.

Wissenschaftliche Erkenntnisse

Diese Strategien seien von einer kleinen, abgeschotteten Gruppe von Regierungsbeamten entwickelt worden, die nicht nur keine Gesundheitsexperten befragt hätten, sondern auch noch Expertenmeinungen lächerlich gemacht hätten, fasst Hiltzik die entsprechenden Studienergebnisse zusammen. Sie hätten den Epidemiologen der Regierung, Anders Tegnell, der die schwedische Coronapolitik verantwortete, gegenüber der wachsenden Kritik an ihm verteidigt.

Zudem hätten die „Nature“-Autoren belegt, dass die schwedischen Regierungsbehörden wissenschaftliche Erkenntnisse über COVID geleugnet oder heruntergespielt, die sie zu vernünftigeren und angemesseneren Strategien geführt hätten. Zu diesen Erkenntnissen gehöre, dass infizierte, aber asymptomatische oder präsymptomatische Menschen das Virus weiterverbreiten konnten und es durch die Luft übertragen wird, dass das Virus eine größere gesundheitliche Bedrohung als die Grippe ist, und dass Kinder nicht immun sind.

Masken nicht empfohlen

Die schwedischen Politiker hätten, „den Fakt geleugnet oder bagatellisiert, dass Kinder infektiös sein können, eine schwere Erkrankung entwickeln oder die Infektion in der Bevölkerung weiterverbreiten konnten“, stellten die Forscher in ihrer Studie fest. Zugleich fanden sie heraus, dass „interne E-Mails der Behörden deren Absicht angeben, Kinder einzusetzen, um die Infektion in der Gesellschaft zu verbreiten“, wie es in dem wissenschaftlichen Paper weiter heißt.

So habe die Regierung abgelehnt, das Tragen von Masken oder das Abstandshalten zu empfehlen oder mehr Tests finanziell zu unterstützen – zumindest zunächst. Erst nach dem Scheitern seiner anfänglichen Strategien verschärfte Schweden seine Regelungen zum „Social Distancing“. Im Dezember 2020 habe König Carl XVI. Gustav, laut der Los Angeles Times, das Land schockiert, als er sich öffentlich gegen das Vorgehen der Regierung wandte und sagte: „Ich glaube, wir sind gescheitert. Wir haben eine zu große Zahl, die gestorben sind, und das ist furchtbar“. Er hatte recht, meint Hiltzik: „Hätte Schweden die Todesrate Norwegens gehabt, so hätte es nur unter 4.429 COVID-Toten während der Pandemie gelitten – anstatt unter mehr als 18.500“.

Bild von Schweden

Die „Nature“-Autoren betonen schließlich: „Es wurde mehr Gewicht auf die Bewahrung des ‚Bildes von Schweden‘ [als einer liberalen Gesellschaft] als auf die Rettung und den Schutz von Menschenleben oder auf ein evidenzbasiertes Vorgehen gelegt“. Die Wissenschaftler des Reports fassen ihre Ergebnisse zusammen: „Die schwedische Reaktion auf diese Pandemie war einzigartig und von einer moralisch, ethisch und wissenschaftlich fragwürdigen Laissez-faire-Vorgehensweise gekennzeichnet“. DT/ks

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