Ihr größter Scoop war die Veröffentlichung der geleakten RKI-Files – Aya Velázquez, die eigentlich anders heißt, hat sich als freie Journalistin unter diesem Pseudonym einen Namen gemacht. Während der Corona-Pandemie im Maßnahmengegnermilieu aktiv, legte sie sich mit Freund und Feind an. Die einen warfen Ihr Verbreitung von Verschwörungstheorien vor, die anderen die Spaltung des maßnahmenkritischen Lagers – auch, weil sie über geheimdienstliche Verwicklungen von Führungsfiguren spekulierte. 2024 erfuhr sie, dass sie selbst vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Im Interview erklärt sie, wie es dazu kam – und weshalb sie sich dagegen mit ihrem neuen Projekt „Wir beobachten zurück“ zu wehren gedenkt.
Frau Velázquez, das Gesetz räumt den Bürgern das Recht ein, zu erfahren, ob sie vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Sie haben mal nachgefragt…
Ja. Seit Anfang des Jahres weiß ich, dass ich beobachtet werde. Ich musste dann allerdings einen Anwalt einschalten, um auch zu erfahren, warum. Das teilt einem die Behörde nicht so ohne Weiteres mit, obwohl auch darauf ein Auskunftsanspruch besteht.
Wie sind Sie denn darauf gekommen, dass Sie vom Verfassungsschutz beobachtet werden könnten?
Ich habe angefragt, weil ich den Verfassungsschutz seit Jahren aus journalistischer Perspektive kritisch beäuge. 2021 gab es zwei relevante Änderungen: Einerseits die Einführung des neuen Phänomenbereichs „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, und andererseits eine Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes, sodass seitdem auch eine Beobachtung von Einzelpersonen möglich ist. Mir war es kaum vorstellbar, dass das nicht politisch missbraucht werden würde, zumal der Verfassungsschutz den jeweiligen Innenministerien unterstellt, also weisungsgebunden ist. Ich vermutete, dass mit diesen Neuerungen unliebsame Menschen ins Visier genommen werden sollten. Gerade der neue Phänomenbereich ist ja so schwammig definiert, dass da fast jeder darunterfallen kann, der schon mal die Regierung kritisiert hat.
Sie sehen sich als unliebsam.
Meine Arbeit der letzten Jahre war sehr kritisch gegenüber den Maßnahmen der Bundesregierung in der Corona-Pandemie. Da die Kollegen der größeren Medien deutlich unkritischer berichtet haben, war ich als freie Journalistin durchaus in einer exponierten Position. Deshalb konnte ich mir sehr gut vorstellen, dass ich unter den neuen Phänomenbereich falle. Und damit habe ich recht behalten. Noch in diesem Juni hat Herr Haldenwang (der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Anm. d. Red.) auf einer Pressekonferenz versichert, dass die neue Kategorie nicht missbraucht werde. Die Beobachteten hätten „eindeutig“ rote Linien überschritten, sie würden die Verfassung abschaffen wollen. Das deckt sich allerdings nicht mit der Beobachtung meiner Person.
Wofür genau werden Sie denn jetzt beobachtet?
Ganz genau erläutert die Behörde das nicht, mir wurden nur zwei Quellen genannt, für die ich beobachtet werde. Dabei geht es einmal um einen Artikel den ich geschrieben habe, ein Interview mit einem einführenden Text. Darin setze ich mich kritisch mit einem Event der Querdenken-Bewegung auseinander. Am 15. November 2020 war die Querdenken-Bewegung zu Gast in Saalfeld bei Peter Fitzek, dem selbsternannten „König von Deutschland“, eine Art Drehkreuz der Reichsbürgerbewegung. Seither gilt die Querdenken-Bewegung im öffentlichen Diskurs als stark mit den Reichsbürgern verbunden. Und auf dieses Narrativ ist wiederum die Beobachtung von Querdenken durch den Verfassungsschutz aufgebaut. Nun hat sich bei mir ein Teilnehmer des Treffens in Saalfeld gemeldet, der überhaupt nicht damit einverstanden war, was damals gelaufen ist. In der Einladungsmail des Querdenken-Gründers Michael Ballweg an die ungefähr 60 Gäste der Veranstaltung, die er mir auch vorgelegt hat, war nämlich nur von einer Art Strategietreffen die Rede, aber da stand kein Wort zu Fitzek, bei dem das Treffen dann stattfand. Die Eingeladenen konnten keine eigenverantwortliche Entscheidung treffen, ob sie auf ein Treffen beim „König der Reichsbürger“ fahren wollen. In der Location in Saalfeld lagen auf allen Tischen bereits Mitgliedsanträge für das Königreich Deutschland bereit - und das Gebäude war wenig später von der Polizei umstellt.
Wenn ich Sie richtig verstehe, halten Sie es für wahrscheinlich, dass das Saalfeld-Treffen eine Falle war – und der Verfassungsschutz seine Finger im Spiel hatte?
Nun, das ist eben die große Frage, und ich möchte mich hier auch nicht final festlegen. Aus Ballwegs Umfeld wird natürlich abgestritten, etwas mit dem Verfassungsschutz zu tun zu haben. Aber dann war ein solches Verhalten zumindest grob fahrlässig. Es ist verantwortungslos, eigene Mitstreiter so ins Messer laufen zu lassen: Sie mussten sich ab dem Saalfeld-Event Vorwürfe von Freunden und Verwandten anhören, „reichsbürgernah“ zu sein – ohne im Vorfeld eine Entscheidung treffen zu können, ob sie damit assoziiert werden wollen. Es riecht jedenfalls stark nach Falle, und ich kann mir vorstellen, dass der Verfassungsschutz war. Im Bundesvorstand der NPD waren auch über die Hälfte V-Leute, das ist historisch gut belegt. So arbeitet der Verfassungsschutz mit Bewegungen, bei denen er gewisse Radikalisierungstendenzen sieht. Es ist das kleine Einmaleins der Geheimdienste, dass man subversive Bewegungen infiltriert, die ein umstürzlerisches Potential haben könnten. Falls dem bei Saalfeld so wäre, hätte sich der Verfassungsschutz allerdings sein eigenes Beobachtungsobjekt selbst geschaffen - denn bei der Begründung der Querdenken-Beobachtung und der damit verbundenen neuen Kategorie der „Delegitimierung“ wurde stets auf Verbindungen ins Reichsbürgermilieu verwiesen.
Würden Sie sich als Verschwörungstheoretikerin bezeichnen?
Nein. Ich bin Journalistin, meine Texte sind mit Quellen belegt, jeder kann sie nachprüfen. In diesem Fall habe ich auf den Bericht eines Augenzeugen gebaut, der mir ein Interview gegeben hat. Jetzt, Jahre später, wird mein damaliger Verdacht, dass die Saalfeld-Nummer möglicherweise kein Missgeschick war, dadurch bestätigt, dass mein Interview darüber zu meiner Beobachtung geführt hat. Wie soll ein Interview mit einem Querdenken-Aussteiger eine Delegitimierung des Staates sein? Nehmen wir an, ich wäre eine hochgradige Irre, die sich hier irgendetwas zusammenspinnt – dann hätte das dem Verfassungsschutz absolut egal sein können, als ein interner Streit im Maßnahmengegner-Milieu, in dem man sich gegenseitig nicht über den Weg traut. Zugegeben, es wäre lächerlich, aber mir fällt aus Sicht des Verfassungsschutzes nur ein Grund ein, mich zu beobachten, nämlich dass er sich ertappt fühlt. Das Interview war der Ausgangspunkt meiner Beobachtung, das hat mir ein Insider aus dem Verfassungsschutz bestätigt.
Gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Was ist mit der anderen „Quelle“?
Die andere Quelle ist ein Post auf meinem Telegram-Kanal, in dem ich mich ebenfalls kritisch über eine Person der Querdenker-Szene äußere: Den Rechtsanwalt Rainer Füllmich, der sich aktuell wegen des Verdachts auf Untreue und Betrug in Untersuchungshaft befindet. In meinem Post – zwei Jahre bevor Füllmich festgenommen wurde – beschäftigte ich mich mit Füllmichs dubiosen Verbindungen ins Scientology-Universum. Zudem kritisierte ich, dass Füllmich legitime Kritik an den Corona-Maßnahmen stets mit einer Prise Bullshit vermischte, zum Beispiel mit inflationären Nazivergleichen oder Alien-Geschichten, was die Glaubwürdigkeit des Corona-Widerstands insgesamt beschädigte. Auch bei dieser Quelle stellt sich die Frage, warum es den Verfassungsschutz überhaupt interessierte, dass ich einen Corona-Maßnahmengegner kritisierte. In keinem meiner Beiträge, für die ich beobachtet werde, habe ich die Regierung angegriffen – sondern lediglich die Opposition. Laut Insider-Informationen ist es so, dass immer zwei Quellen im Abstand von etwa einem Monat gebraucht werden, um eine Beobachtung zu starten: Das „Verdachtsmoment“ und der „bestätigte Verdacht“. Insgesamt sind neben den beiden genannten wohl noch 390 weitere Beobachtungen über mich verzeichnet, die ich nun freiklagen möchte.
Können Spekulationen über das Agieren des Verfassungsschutzes „Delegitimierung des Staates“ sein?
Nein, und es ist sogar die Aufgabe von Journalisten, dem Treiben staatlicher Behörden genau auf die Finger zu schauen, um einen potenziellen politischen Missbrauch neu geschaffener Instrumente zu verhindern. Sogar eine Abschaffung des Verfassungsschutzes darf völlig legal gefordert werden, da der Verfassungsschutz zwar die Aufgabe hat, die Verfassung zu schützen, aber selbst kein schützenswerter Teil der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist. Dass solche Forderungen von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, ist gerichtlich bestätigt. Die Beobachtung meiner Person ist in meinen Augen also rechtswidrig, daher gehe ich nun juristisch dagegen vor.
Lassen wir mal beiseite, warum Sie selbst eigentlich beobachtet werden. Könnten Sie mit ihren Unterstellungen nicht trotzdem falsch liegen? Mir scheint, dass Menschen auch ganz von selbst an „Bullshit“ Gefallen finden. Oder ihre Sympathie für Reichsbürger oder die extreme Rechte entdecken, sobald sie erstmal die Wucht politisch-medialer Verurteilung erfahren, und sich darüber von den Vorstellungen der Mehrheitsgesellschaft entfremdet haben.
Diese Fragen stelle ich mir natürlich auch. Klar gibt es genug Leute, die sich zunächst nur als Regierungsgegner sehen, und dann „organisch“ nach und nach ins rechte Lager wandern - möglicherweise, um in maximale Distanz zum politmedialen Mainstream zu gehen. Aber geht man dann sofort in die Reichsbürgerbewegung? Das ist jetzt nicht Null-Acht-Fünfzehn-Rechts. Hinzu kommt: Wer bei Fitzek ein- und ausgeht, ist automatisch für die Dienste interessant. Über den Hotspot Saalfeld lässt sich ein guter Überblick über Bürger gewinnen, die den deutschen Staat ablehnen. Daher hat es schon ein Geschmäckle, wenn Menschen da ohne ihr Wissen hingelockt werden. Sonst hätte man den Eingeladenen ja einfach vorher die Wahrheit sagen können, bei wem das Treffen stattfinden wird.
Was ist es eigentlich für ein Gefühl, beobachtet zu werden?
Ich denke, dass die deutschen Inlandsgeheimdienste eher mit Wasser kochen, und ich nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln im eigentlichen Sinn überwacht werde. Es ist ja so, dass die deutschen Dienste Überwachungstools wie etwa Pegasus immer bei ausländischen Diensten einkaufen müssen. So eine Spyware-Lizenz kostet viel Geld. Ich glaube, das hebt man sich dann doch eher für die „Härtefälle“ auf. Ich schätze, dass bei mir – ähnlich wie bei Herrn Maaßen – einfach meine öffentlich zugänglichen Äußerungen in meinen Social-Media-Kanälen gesammelt, und damit ellenlange Dossiers angelegt werden. Trotzdem: Durch Beobachtung von Journalisten wie mir wird Steuergeld verschwendet und Personal gebunden, das dann zur Beobachtung echter Extremisten fehlt. Das ärgert mich als Bürgerin. Und es steht im Konflikt mit der Pressefreiheit. Die Uhr muss – mindestens – wieder zurückgedreht werden auf den Zustand von vor 2021. So wie es seit der Einführung des neuen Phänomenbereichs läuft, kann es nicht weitergehen.
Ihr jüngstes Projekt ist ein Formulargenerator, der juristisch korrekte Anfragen an den Verfassungsschutz ausspuckt, ob man beobachtet wird. Was versprechen Sie sich davon?
Wir möchten Bürgern ein Werkzeug zur Datenmündigkeit an die Hand geben, und sie darin unterstützen, sich gegen eine rechtswidrige Beobachtung zu wehren. Zudem interessieren mich für ein Langzeit-Rechercheprojekt über den Verfassungsschutz die Gründe, warum die Menschen beobachtet werden. Daher gibt es die Möglichkeit, uns das freiwillig zurückzumelden, wenn eine Beobachtung vorliegt. Schon jetzt bekommen wir diesbezüglich Antworten und ganze Akten zugeschickt. Vielfach ist der Grund der Beobachtung, wie in meinem Fall, nicht nachzuvollziehen. Mit den ersten Rückläufern aus den jetzt generierten Formularen rechnen wir in etwa drei Monaten - so lange ist die Antwortfrist der Behörde. Ich gehe davon aus, dass einige tausend Menschen das Formular nutzen werden.
Und wenn der Verfassungsschutz einfach nicht antwortet?
Er muss antworten, denn die Bürger haben einen Rechtsanspruch auf Datenauskunft. Wenn diese Antwort nach drei Monaten nicht erfolgt, legen wir den Rechtsweg nahe. Die Kosten für einen Brief vom Anwalt liegen bei etwa 300 Euro, das ist überschaubar. Auch wenn ein positiver Bescheid kommt, aber der genaue Grund der Beobachtung nicht angegeben wird, kann man klagen. Und wenn man dann der Meinung ist, dass die Beobachtung rechtswidrig ist, kann man ebenfalls klagen.
Klingt nach einem guten Geschäftsmodell für die Anwälte…
Bei verwaltungsrechtlichen Angelegenheiten werden keine Fantasiepreise aufgerufen. Die Anwälte, die wir empfehlen, haben wir selbst angesprochen oder von anderen empfohlen bekommen. Ich selbst verdiene an den vermittelten Mandaten überhaupt nichts. Die ganze Website ist ein nicht-kommerzielles Projekt. Wir haben Stand jetzt mehr Spendengelder überwiesen bekommen, als wir bisher dafür ausgegeben haben, was ich auch transparent gemacht habe. Das Geld wird in den Ausbau des Projekts investiert. Wir wollen sozusagen das Gegenprojekt zum Verfassungsschutz werden - eine Anlaufstelle für Betroffene.
Was ist mit zurecht Betroffenen, sagen wir mal mit echten gewaltbereiten Rechts- oder Linksextremisten? Haben Sie keine Angst, den Falschen zu helfen?
Nein. Auch bisher schon konnten Extremisten andere Antragsgeneratoren nutzen, um Anfragen an den Verfassungsschutz zu stellen. Eine Datenauskunft bei staatlichen Behörden steht grundsätzlich jedem Bürger zu. Das Besondere an unserem Schreiben ist, dass es spezifisch auf den neuen Phänomenbereich der Delegitimierung zugeschnitten ist, der so vage gehalten ist, dass bereits harmlose Bürger unter diese Kategorie fallen könnten, wenn sie einmal regierungskritisch in Erscheinung getreten sind. Genau diesen Bürgern wollen wir helfen, unkompliziert eine Auskunft zu erhalten, ob sie beobachtet werden oder nicht, und eine Beobachtung im Falle einer Rechtswidrigkeit zu beenden. Ich sehe darin keinerlei Missbrauchspotential.
Könnte der Verfassungsschutz so eine Anfrage nicht zum Anlass nehmen, im Gegenzug nach Gründen für eine Beobachtung des Antragstellers zu suchen?
Ich kann keine hundertprozentige Garantie abgeben, dass die Behörde das nicht tun wird, halte es aber für unplausibel. Erstens darf sie das nicht – eine Datenanfrage wäre als Beobachtungsgrund illegal. Zweitens ist die Arbeitsbelastung in der Behörde bereits sehr hoch – in vielen Erstschreiben der Behörde steht, dass sich aufgrund von Überlastung der Bescheid noch etwas hinziehen wird. Und angesichts der 1600 Personen, die im Bereich Delegitimierung laut Verfassungsschutzbericht überwacht werden, dürfte der Aufwand schon erheblich sein. Aus einem Whistleblower-Interview wissen wir, dass immer auch das Umfeld der Zielpersonen mitbeobachtet wird, insofern dürfte die wahre Zahl beobachteter Personen noch größer sein. Außerdem könnte man es in späteren Anfragen herausbekommen, wenn infolge der eigenen Datenanfrage eine Beobachtung gestartet worden wäre. Solche Praktiken hätten sehr kurze Beine. Insofern halte ich das Risiko für Antragssteller für nicht allzu groß. Unser Projekt „Wir beobachten zurück“ ist ein Angebot für Datenmündigkeit. Es ist als logische Gegenreaktion auf staatliche Übergriffigkeit entstanden. Wir versuchen, einen Riegel vor die neue staatliche Gesinnungschnüffelei zu schieben, und möchten Bürger dazu ermutigen, sich zu wehren, wenn sie davon betroffen sind.
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