In der Politik herrscht manchmal eine seltsame Zeitrechnung. Viele Analysen stammen von vorgestern oder von übermorgen. Besonders heikel: Wenn diejenigen, die von vorgestern kommen, glauben, sie würden gerade über übermorgen nachdenken.
Besonders zeigt sich dieses Problem im Umgang mit der AfD: Sowohl die Gegner der Partei, als auch die Vordenker der AfD selbst sind zu sehr der Vergangenheit verhaftet. Die Gegner tun immer noch so, als sei die Partei nur ein vorübergehendes Phänomen, das man wahlweise durch „politische Bildung“ via Medien, eine „bessere Politik“ (Motto: „Wir haben verstanden.“) oder, wenn gar nichts mehr hilft, durch ein Verbot verschwinden lassen könnte.
Die AfD wird nicht verschwinden
Das korrespondiert mit einer AfD, die nicht erwachsen werden will, ja auch nicht erwachsen werden muss. Da sie bisher von jeder Machtoption ferngehalten wird, muss sie keine Verantwortung übernehmen. Sie kann sich ganz darauf konzentrieren, laut darüber rumzunölen, dass man sie von Beginn an unfair behandelt habe. Die überschüssige politische Energie fließt stattdessen in ideologische Grundsatzdiskussionen, wo nur die Radikalen glänzen oder auch die Gemäßigteren zu Radikalen werden, eben weil sie überhaupt nur als solche vor der blauen Anhängerschaft glänzen können.
Schauen wir auf übermorgen: Die AfD wird nicht verschwunden sein. In Ostdeutschland wird sie Volksparteistatus besitzen, vielleicht auch schon den einen oder anderen Ministerpräsidenten stellen. Und wie sieht’s im Westen aus, was ist im Bund? Die Antworten auf diese Fragen zeigen, ob sich jemand als politischer Realist versteht oder nicht. Der Tagträumer macht einfach die Augen zu, es soll nicht sein, was nicht sein darf. Der Realist muss sich darum sorgen, dass, wenn etwas schon ziemlich sicher eintreffen wird, zumindest die Umstände möglichst gut werden. Heißt: Wenn die AfD für die nächsten Jahrzehnte zu den politischen Big Playern gehören wird, dann sollte sie etabliert sein.
Etablieren heißt aber eben nicht, die extremistischen Töne, die ja Tag für Tag aus der Partei zu hören sind, zu ignorieren. Im Gegenteil, die Botschaft muss lauten: Wenn ihr eine realistische Machtoption im Bund haben wollt, dann müsst ihr selbst bereit sein, euch zu etablieren. Ihr müsst in das System hineinkommen und es nicht dämonisieren. Ihr müsst mitspielen wollen. Das geht aber nur, wenn die Regeln akzeptiert werden.
Langfristig braucht die Union einen Koalitionspartner rechts der Mitte
Nach Lage der Dinge kann so ein Mitspiel-Angebot nur seitens der Union kommen. Ob wir das bis übermorgen erleben werden? Dass sich im Parteiensystem etwas geändert hat, das haben natürlich die schwarzen Strategen mitbekommen. Und auch die Aussicht, auf ewig auf einen linken Koalitionspartner angewiesen zu sein, sorgt dort nicht für Begeisterung. Langfristig braucht die Union einen Koalitionspartner rechts der Mitte. Eine Chance für die Rest-FDP? Oder eben doch für eine reformierte, eine sich verbürgerlichende AfD? Bewegung in diese Entwicklung hin zum Übermorgen würde jedenfalls ein Verbotsverfahren bringen. Es würde die Lage klären. Und innerhalb der AfD könnte es zu Absetzbewegungen der Gemäßigten kommen. Wenn die etwas Eigenes gründen würden, gäbe es dann den neuen Mitte-Rechts-Koalitionspartner für die Union?
Sicher, alles nur Spekulationen. Aber dass die AfD nicht einfach wieder verschwinden wird, zeigt vor allem der Blick nach Magdeburg. Ulrich Siegmund, der dort im nächsten Jahr erster AfD-Ministerpräsident werden will, hat nach den Umfragen gute Chancen. Was kommt dann danach? Auch wenn einem die Prognosen für übermorgen nicht passen mögen, die Verantwortung gebietet es, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
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