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Österreich legalisiert assistierten Suizid

ÖVP und Grüne einigten sich auf eine Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung – Verfassungsgerichtshof hatte Verbot aufgehoben.
Suizidbeihilfe Österreich
Foto: Victoria Bonn-Meuser (dpa) | Laut dem neuen „Sterbeverfügungsgesetz“ wird die Beihilfe zum Suizid künftig dann straffrei sein, wenn der Suizidant sich in der finalen Lebensphase befindet oder unheilbar krank ist.

Ab dem Jahreswechsel dürfen Menschen im terminalen Stadium sowie unheilbar kranke Personen in Österreich unter bestimmten Umständen beim Suizid die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch nehmen, ohne dass sich dieser dabei strafbar macht. Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne einigten sich nach langen, nicht öffentlich ausgetragenen Kontroversen auf die Details: Laut dem neuen „Sterbeverfügungsgesetz“ wird die Beihilfe zum Suizid künftig dann straffrei sein, wenn der Suizidant sich in der finalen Lebensphase befindet oder unheilbar krank ist. Minderjährige sind explizit ausgeschlossen.

Schuld an der Neuregelung ist der Verfassungsgerichtshof (VfGH): Er hob das bisher geltende absolute Verbot einer „Hilfeleistung zum Selbstmord“ (§ 78 Strafgesetzbuch) am 11. Dezember 2020 mit Wirkung zum 31. Dezember 2021 auf. Die Richter begründeten dies damit, dass die freie Selbstbestimmung des Menschen das Recht auf die Gestaltung des Lebens wie auf ein menschenwürdiges Sterben umfasse. Dies schließe die Entscheidung des Einzelnen darüber ein, ob und auf welche Weise er sein Leben beenden will. Die Selbstbestimmung umfasse auch das Recht des Suizidwilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen.

Richter erzwangen Kulturbruch

Die ÖVP-Parlamentarierin Gudrun Kugler bewertet dieses Urteil nach wie vor kritisch: „Dadurch erzwangen die Richter einen rechtlichen Kulturbruch der österreichischen Rechtslage im Umgang mit den Menschen am Ende des Lebens, ohne demokratischen Prozess und entgegen dem bestehenden parlamentarischen Konsens.“ Auch der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Erzbischof Franz Lackner, hatte das Urteil mehrfach öffentlich kritisiert und von einem „Kulturbruch“ gesprochen.

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Experten hatten bereits im Sommer mit einer gesetzlichen Neuregelung gerechnet, die ÖVP-Verhandler zumindest darauf gehofft. Doch die Grünen brauchten lange für ihre interne Willensbildung. Denkbar knapp innerhalb der vom VfGH gesetzten Frist für eine gesetzliche Neuregelung wurde nun am Samstag das neue Sterbeverfügungsgesetz präsentiert, mit dem die Legalisierung des assistierten Suizids in bestimmten Fällen geregelt wird. 

Nach einer zweiwöchigen öffentlichen Begutachtung soll das neue Gesetz im Parlament verabschiedet werden und am 1.1.2022 in Kraft treten. „Wir wollten die Beihilfe zum Suizid nicht freigeben, weil wir beim Leben helfen wollen, nicht beim Sterben“, stellte Gudrun Kugler am Samstag klar. „In anderen Ländern sehen wir, wie sich die Gesellschaft dadurch negativ verändert hat und vulnerable Gruppen unter Druck geraten.“ Angesichts der Situation, die der VfGH mit seinem Urteil geschaffen hat, sei der vorliegende restriktive Gesetzesentwurf „noch der bestmögliche Weg“.

Grüne gegen Absicherung des Verbots der „Tötung auf Verlangen“

Eine verfassungsrechtliche Absicherung der in Österreich nach wie vor verbotenen „Tötung auf Verlangen“ (§ 77 Strafgesetzbuch) lehnten die Grünen in den Verhandlungen offenbar ab. Einen Antrag, auch das Verbot der „Tötung auf Verlangen“ aufzuheben, hatten die VfGH-Höchstrichter im Dezember 2020 zurückgewiesen. Ebenso bleibt die „Verleitung zum Selbstmord“ in Österreich weiterhin strafbar. Die ÖVP hatte nun die Absicht, das Verbot der „Tötung auf Verlangen“ durch ein neues Verfassungsgesetz abzusichern, wozu eine parlamentarische Zwei-Drittel-Mehrheit nötig gewesen wäre. Dazu war der grüne Koalitionspartner jedoch nicht bereit. Mit baldigen Klagen gegen das Verbot der „Tötung auf Verlangen“ ist jetzt zu rechnen.


https://www.die-tagespost.de/politik/aktuell/oesterreich-oeffnet-das-tor-zur-euthanasie-art-214406

https://www.die-tagespost.de/glaube/selbstbestimmt-in-die-selbsttoetung-art-

 

Lesen Sie eine ausführliche Analyse zur Legalisierung des assistierten Suizids in Österreich in der kommenden Ausgabe der Tagespost.

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Stephan Baier

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