Nein, eine Diktatur ist die Türkei auch vier Jahre nach dem erfolgreich niedergeschlagenen Putschversuch vom 15./16. Juli 2016 nicht: Noch gibt es Oppositionsparteien; noch muss die AKP sich viel einfallen lassen, um Mehrheiten zu sichern; noch kann sie Wahlen verlieren, wie zuletzt in den wichtigsten Städten des Landes, in Istanbul und Ankara. Und doch kennzeichnen Willkür und autokratische Tendenzen Politik, Exekutive und Justizwesen. Die Umwandlung der Hagia Sophia zur Moschee ist nicht das einzige, nur das aktuellste Beispiel dafür.
Alles Pulver verschossen
Innenpolitisch haben Erdogan und seine AKP alles Pulver verschossen: Die 2007 und 2016 drohende Gefahr eines Militärputsches gibt es längst nicht mehr; die vermeintliche Unterwanderung der Türkei durch die Gülen-Bewegung ist nach vier Jahren abgenutzt; mit der Aufhebung der Kopftuchverbote und der Rückwandlung der Hagia Sophia ist auch symbolpolitisch alles ausgereizt. Welches Feindbild will Erdogan künftig nutzen, welche Bedrohung suggerieren, um von wirtschaftlichen Problemen abzulenken?
Außenpolitik im Zickzack
Außenpolitisch zeichnet Ankaras Zickzack-Kurs ab 2003 eine Geschichte des Scheiterns: Verspielt sind alle Versuche der Aussöhnung mit den Nachbarn ringsum, vorbei alle Ambitionen auf einen EU-Beitritt, zerstört alle Hoffnungen, die Türkei als Führungsmacht der Sunniten oder als Leuchtturm für die Muslime zwischen Balkan und Kaukasus zu positionieren.
Vier Jahre nach dem Putschversuch ist Präsident Erdogan merkwürdig in die Defensive geraten: innen- wie außenpolitisch, und wirtschaftlich ohnehin. Ungefährlicher ist er deshalb allerdings nicht geworden – wie jeder Autokrat, der mit dem Rücken zur Wand steht.
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