Wenn es noch eines Beweises bedarf, wie widernatürlich und vernunftwidrig der Gedanke ist, es gäbe ein Recht auf die Tötung eines unschuldigen und wehrlosen Kindes im Mutterleib, dann wird er in London derzeit auf offener Bühne erbracht. Denn dort instrumentalisieren einige Labour-Abgeordnete ausgerecht einen von der eigenen Regierung vorgelegten Gesetzesentwurf zur Ausweitung der Verbrechensbekämpfung, um erstmalig in der Geschichte des Inselreiches ein Recht auf Abtreibung durch die Hintertür in der Rechtsordnung festzuschreiben.
Die „Crime und Policing Bill“, mit welcher der 2022 von der Regierung unter Premierminister Boris Johnson verabschiedete „Police, Crime, Sentencing and Courts Act“ (dt.: „Gesetz über Polizei, Kriminalität, Strafzumessung und Gerichte“) ein weiteres Mal novelliert werden soll, will die rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen auf englischem Boden umfassender als bislang verfolgen zu können. Nach geltendem Recht können britische Behörden bisher nur Menschenrechtsverletzungen verfolgen, die von Briten verübt wurden. Die „Crime und Policing Bill“ soll das ändern. Sie soll den Behörden in England, Wales und Nordirland die Möglichkeit geben, mutmaßliche Kriegsverbrecher, die sich in Großbritannien aufhalten, auch dann zu überwachen und strafrechtlich zu verfolgen, wenn sie keine Briten sind.
„Das Vereinigte Königreich“ dürfe nicht länger „ein sicherer Hafen“ für diejenigen sein, die „schwerste Verbrechen in Konflikten“, wie beispielsweise das „Töten von Hilfskräften“ oder den „Einsatz von Hunger als Waffe“ zu verantworten hätten, fordert etwa die Vorsitzende des Internationalen Entwicklungsausschusses des britischen Unterhauses, Sarah Champion. Die Labour-Abgeordnete, die im britischen Parlament zu den profiliertesten Stimmen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch zählt, trat ins Rampenlicht der Öffentlichkeit, als sie 2017 in einem Beitrag für die britische Boulevardzeitung „The Sun“ im Zusammenhang mit dem Skandal von Rotherham schrieb, „Großbritannien hat ein Problem mit britisch-pakistanischen Männern, die weiße Mädchen vergewaltigen und ausbeuten.“ So weit, so gut.
Ein gekapertes Vorhaben
Doch nun hat die Labour-Abgeordnete Tonia Antoniazzi das Gesetzesvorhaben gekapert, um ein Recht auf Abtreibung in der englischen Rechtsordnung festzuschreiben. Am Dienstag vergangener Woche stimmte das Unterhaus für einen Änderungsantrag der walisischen Abgeordneten, der vorgeburtliche Kindstötungen bis zur Geburt legalisieren würde.
Bislang sind Abtreibungen in Großbritannien grundsätzlich verboten. Sowohl der „Offences Against the Person Act“ von 1861 (OAPA) als auch der „Infant Life (Preservation) Act“ von 1929 (ILPA) erkennen den Fetus als Kind an und bilden die Grundlage für die geltende rechtliche Regelung von Abtreibungen. Der „Abortion Act“ aus dem Jahre 1967 legt fest, wann Ärzte Abtreibungen legal durchführen dürfen. Als legal betrachtet das Gesetz vorgeburtliche Kindstötungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW), sofern sie von zwei Ärzten genehmigt und in einem zugelassenen Krankenhaus oder Klinik durchgeführt werden. Während der Corona-Pandemie hatte die Regierung diesen Rahmen jedoch verlassen und Frauen Abtreibungen in den eigenen vier Wänden mittels der Abtreibungspille Mifegyne erlaubt.
Do-it-yourself-Abtreibung seit 2020
Im März 2020 verfügte das britische Gesundheitsministerium per Erlass, dass Frauen die Abtreibungspille vorübergehend per Post zugestellt bekommen können, wenn medizinisches Personal im Rahmen einer telemedizinischen Konsultation bei ihnen eine Schwangerschaft festgestellt hatte und das ungeborene Kind weniger als zehn Wochen alt ist.
Im März 2022 stimmte das Parlament entgegen seiner ursprünglichen Absicht dann dafür, die als „pills by post“ bekannte Ausnahmeregelung zu verstetigen. Seit dem 30. August 2022 können Frauen in England, Wales und Schottland nun Abtreibungen auch mittels Mifegyne bis zum 69. Tag dauerhaft straffrei zu Hause durchführen. Mit durchschlagendem „Erfolg“ und den zu erwartenden katastrophalen Folgen: Allein im Jahr 2022 fanden 61 Prozent (= 153 340) der 251 377 in England und Wales durchgeführten vorgeburtlichen Kindstötungen als „Do-it-yourself“-Abtreibungen zu Hause statt. Bei einer Komplikationsrate von rund sechs Prozent dürfte es bei rund 9200 Fällen zu einer medizinischen Nachbehandlung im Krankenhaus gekommen sein. So weit, so schlecht.
In den letzten fünf Jahren eine Verurteilung wegen illegaler Abtreibung
Glaubt man den Abgeordneten, dann haben solche Komplikationen binnen der letzten fünf Jahre „in etwa 100 Fällen“, die Polizei zur Aufnahme von Ermittlungen aufgrund des Verdachts illegaler Abtreibungen inspiriert. Sechs von ihnen kamen zur Anklage. Nur in einem Fall kam es zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Dabei handelt es sich um Stuart Worby. Der 40-Jährige hat seiner schwangeren Freundin, die sich in der 15. SSW befand, die erste Abtreibungspille heimlich in den Organgensaft gemischt und die zweite, während eines Geschlechtsverkehrs mit verbundenen Augen, gegen ihren Willen verabreicht. Seine Komplizin, die 39-jährige Nueza Chepeda, hatte die Abtreibungspillen besorgt, indem sie bei der Telekonsultation falsche Abgaben machte.
Die Frau, die schwere Schmerzen, Erbrechen und Blutungen davontrug, erlitt später im Krankenhaus eine Fehlgeburt und ist seitdem unfruchtbar. Ein Gericht verurteilte Worby, der keine Reue zeigte und sich zunächst geweigert hatte, medizinische Hilfe zu holen, im Dezember 2024 zunächst zu 12 und im Februar zu 17 Jahren Gefängnis. Der Täter hatte auch noch den „Erfolg“ seiner Tat dokumentiert und Textnachrichten wie „It’s working“ und „There is lots of blood“ an Freunde versandt. Seine Komplizin kam mit 22 Monaten auf Bewährung davon.
Das tote Kind lag in einer Tragetasche
Dagegen wurde Nicola Packer freigesprochen. Die heute 45-Jährige lebte während der COVID-19-Pandemie in einer Sado-Maso-Dreiecksbeziehung. Als sie mit 41 Jahren schwanger wird, gibt sie gegenüber dem Abtreibungsanbieter „MSI Reproductive Choices“ an, nicht länger als zehn Wochen lang schwanger sein. Am 7. November 2020 wird Packer im Chelsea and Westminister Hospital vorstellig. Ihr totes Kind führt sie in einer Tragetasche mit.
Das Krankenhauspersonal informiert sofort die Polizei. Der Grund: Der tote Fetus ist so weit entwickelt wie ein Kind in der 26. SSW. Das Gericht glaubt Packer, die keine Bewegungen des Kindes in ihrem Leib gespürt haben will, dass sie nicht wusste, wie fortgeschritten ihre Schwangerschaft war. Ganze 16 Wochen über der Frist für eine Abtreibung mit der Abtreibungspille und zwei über der gesetzlichen Frist für eine legale Abtreibung.
Doch für Labour-Abgeordnete wie Antoniazzi ist nicht das der Skandal, sondern, dass die Polizei ihre Pflicht tat und gegen Packer ermittelte.
Am Dienstag vergangener Woche stimmten 379 Abgeordnete für einen Änderungsantrag Antoniazzis, der lautet: „Streichung von Frauen aus dem Strafrecht im Zusammenhang mit Abtreibung: Im Sinne der §§ 58 und 59 des Offences Against the Person Act von 1861 und des Infant Life (Preservation) Act von 1929 begeht eine Frau keine Straftat, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer eigenen Schwangerschaft handelt.“ Nur 137 stimmten dagegen.
Sie wussten, was sie tun
Besonders perfide: Laut der Begründung würde der Änderungsantrag „keine Änderungen an den Gesetzen zur Bereitstellung von Schwangerschaftsabbrüchen im Gesundheitswesen bewirken, insbesondere nicht an der Frist, der Telemedizin, den Gründen für einen Schwangerschaftsabbruch oder der Notwendigkeit der Zustimmung zweier Ärzte.“
In Wirklichkeit ermöglicht er jetzt Frauen die Tötung ihres ungeborenen Kindes aus jedem nur denkbaren Grund, einschließlich der Geschlechtswahl, bis zur Geburt. Gutmeinende könnten versucht sein, anzunehmen, das Unterhaus habe sich von der Begründung des Änderungsantrags blenden lassen und sei von dem ehemaligen Mitglied der walisischen Frauen-Rugby-Nationalmannschaft hinter die Fichte geführt worden.
Nur, so ist es nicht. Die Abgeordneten des House of Commons wussten genau, was zur Abstimmung stand. Nicht nur, weil die Katholische Bischofskonferenz von England und Wales und britische Lebensrechtsorganisation wie „Right to Life“ und die „Society for the Protection of unborn children“ (SPUC) frühzeitig und ausführlich Aufklärung betrieben und an die Abgeordneten appelliert hatten, diesem und einem weiteren, noch weiterreichenden Änderungsantrag ihre Stimme zu versagen. Sondern auch, weil die Gegner der Änderungsanträge in der Parlamentsdebatte kein Blatt vor den Mund nahmen.
Die Gegenargumente waren bekannt
So erklärte beispielsweise der Tory-Abgeordnete Sir Edward Leigh, einer der Gründe für den Abortion Act von 1967 sei der Wunsch gewesen, Abtreibungen aus den Hinterhöfen zu verbannen. „Und ob es einem gefalle oder nicht, heute könnten Frauen in sicherer Umgebung auf Verlangen abtreiben. Würden aber die Vorschläge, die wie hier diskutieren, angenommen, werde es de facto möglich, dass Frauen zu Hause eine Abtreibung bis zur Geburt vornehmen.“ Ob die Abgeordneten nicht glaubten, dass dies die Gesundheit von Frauen gefährde?
Damit nicht genug: In einem Offenen Brief an die Mitglieder des Parlaments hatten rund 80 Ärzte die Parlamentarier auf eine von der Regierung selbst durchgeführte Untersuchung hingewiesen. Die hatte im November 2023 ergeben, dass die Komplikationsrate bei Abtreibungen nach der 20. SSW 160 Mal höher ist als bei Abtreibungen bis zur 10. SSW. Und dies bei Abtreibungen, die von Ärzten in einem klinischen Umfeld durchgeführt wurden.
Statt Frauen Do-it-Yourself-Abtreibungen zu Hause bis zur Geburt ermöglichen, bei denen mit noch weit höheren Komplikationsraten zu rechnen sei, sollten die Parlamentarier wieder die verpflichtende persönliche Vorstellung der abtreibungswilligen Frau bei einem Arzt einführen, um ihm die Möglichkeit zu geben, das Schwangerschaftsalter feststellen und sich ein Bild vom Gesundheitszustand der Frau machen zu können. Nur so könnten erzwungene Abtreibungen vermieden und sichergestellt werden, dass die Abtreibungspille nur in jenen Fällen verschrieben werde, bei denen die medizinischen und rechtlichen Erfordernisse gewahrt blieben.
Doch die Abgeordneten stellten sich taub. Durch Ausschluss von Strafverfolgung Frauen zu unsicheren Abtreibungen bis zur Geburt zu verleiten und dies in einem Gesetz festzuschreiben, das die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen ausweiten soll, ist geradezu teuflisch. Auf dem Altar eines vermeintlichen Rechts auf Abtreibung hat das House of Commons alles geopfert, was in diesem Zusammenhang Bedeutung besitzt: Das Leben ungeborener Kinder, die Gesundheit ihrer Mütter sowie den Rechtsstaat. Wer darin nicht die Handschrift des Teufels zu erkennen vermag, ist gut beraten, einen Optiker aufzusuchen.
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