Rein in die Zölle – raus aus den Zöllen: Kurz vor dem angedrohten Inkrafttreten von jeweils 25 Prozent Strafzöllen gegen Kanada und Mexiko an diesem Dienstag hat US-Präsident Donald Trump noch einmal aus seiner Perspektive Gnade vor Recht ergehen lassen: Einen ganzen Monat lang wollen die USA nun die angedrohten Zölle gegenüber ihren Nachbarstaaten aussetzen, nachdem diese angekündigt hatten, mit jeweils 10.000 Soldaten und Ermittlern gegen grenzübergreifende Kriminalität und illegale Migration vorzugehen.
Erhöht man die Person sowie den Politiker Donald Trump, wenn man sich angesichts seines gegenwärtigen außenpolitischen Gebarens sowohl an den antiken Geschichtsschreiber Thukydides als auch an den berühmt-berüchtigten Machttheoretiker Niccolò Machiavelli erinnert fühlt?
Machtgebaren wie bei den Athenern
So gibt es im fünften Buch des „Peloponnesischen Kriegs“ von erstgenanntem den bekannten „Melier-Dialog“ – eine in Wechselreden gefasste Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der mit Krieg drohenden Hegemonialmacht Athen, die ultimativ die Unterwerfung der Inselbewohner von Melos verlangen, und den Verhandlungsführern des kleinen Inselvolks, die Melos die Unabhängigkeit von Athen zu erhalten suchen.
Thukydides lässt die Athener – immerhin Vertreter einer Demokratie und mit nicht wenig Stolz auf die eigene vermeintliche Zivilisiertheit blickend – unverhohlen gegenüber den hoffnungslos unterlegenen Meliern das Recht des Stärkeren vertreten, dem sich die Bewohner von Melos schlicht und ergreifend zu unterwerfen hätten. Im Falle des „Dialogs“ zwischen Athen und Melos ging es um die Unterwerfung der Melier unter das attische Seebund-Regime gegen Sparta – und wenn, wie gegenwärtig, US-Außenminister Marco Rubio in Panama weilt, geht es um nichts weniger als die Rückgabe des Panama-Kanals an die Vereinigten Staaten. Bis Grönland hat es Rubio einstweilen noch nicht geschafft.
An Machiavellis „Der Fürst“ hingegen erinnert Donald Trumps nun vom Zaun gebrochener Handelskrieg sowohl mit China als auch mit den bisherigen Verbündeten Kanada und Mexiko: Dieser vertrat bekanntermaßen das Recht des Herrschers, Grausamkeiten zu begehen, um die eigene Herrschaft oder die Stabilität des eigenen Machtbereichs zu festigen. Das Recht zur Grausamkeit hänge nur „davon ab, ob die Grausamkeiten gut oder schlecht angewandt sind", schreibt der 1527 verstorbene Florentiner. Und vom richtigen Zeitpunkt: „Gewalttaten muss man alle auf einmal begehen, damit sie weniger empfunden werden und dadurch weniger erbittern", rät er – am besten gleich zu Beginn des Herrschaftsantritts.
Bis zu 1,5 Prozent Schrumpfung der US-Wirtschaftskraft möglich
Ob sich der von Trump entfesselte „dümmste Handelskrieg der Geschichte" (Wall Street Journal) nun als Grausamkeit oder zumindest als große Torheit, unter der vor allem seine Kernwählerschaft leiden könnte, erweisen wird, muss abgewartet werden. Klar ist: Die von den USA geplanten hohen Importzölle von 25 Prozent gegen Mexiko und Kanada sowie die zusätzlichen zehn Prozent auf die bereits bestehenden Zölle gegen China (auch die EU hat Trump im Visier), haben das Potential, die Weltwirtschaft zu erschüttern. Besonders verstörend ist die Tatsache, dass es - neben dem nicht ganz unberechtigten handelspolitischen Vorgehen gegen China - mit Zöllen gegen Kanada und Mexiko ausgerechnet zwei Länder treffen soll, mit denen Trump selbst in seiner ersten Amtszeit ein aus seiner Sicht gutes Freihandelsabkommen aushandelte, welches nun als Makulatur zu betrachten ist. Nicht nur diese Länder, sondern auch viele Beobachter, die Trumps Zolldrohungen bisher als Bluff oder Druckmittel, um eigene Interessen durchzusetzen, abtaten, wurden nun eines Besseren belehrt.
Und sowohl die Finanzmärkte als auch Wirtschaftsexperten senken angesichts der am Wochenende in Kraft getretenen Zölle die Daumen: Weltweit trennten sich Börsen-Anleger aus Angst vor einem Handelskrieg von ihren Aktien, zum Start der Börsenwoche brachen die Kurse zum Teil heftig ein - zunächst in Asien, später auch in Europa und an der Wall Street und beendeten so die seit knapp zwei Jahren andauernde Rallye an den weltweiten Börsen. Im Handelsverlauf, spätestens mit der Entwarnung an der Handelskriegsfront, beruhigte sich die Lage leicht. Und: Sollte sich der Handelskrieg über das gesamte Jahr 2025 erstrecken, rechnen Analysten von UBS, Morgan Stanley und EY mit bis zu 1,5 Prozent Schrumpfung der US-Wirtschaftskraft.
China und die EU reagieren
China, das in der Tat viel durch einen neu entfachten Handelskrieg mit den USA zu verlieren hätte, reagierte auf die von Donald Trump verhängten zusätzlichen Zölle auf chinesische Waren und kündigte umfassende Exportbeschränkungen für fünf Metalle an, die in der Verteidigungsindustrie, der sauberen Energie und anderen Industrien verwendet werden. Die Kontrollen, die sofort in Kraft treten, umfassen die Metalle Wolfram, Tellur, Wismut, Indium und Molybdän sowie ihre verwandten Produkte. China dominiert die Produktion beziehungsweise Raffination dieser Metalle, deren Anwendungsgebiete von Solarmodulen über die Atomforschung bis hin zu panzerbrechenden Granaten reichen. Zudem sollen Zusatzzölle in Höhe von 15 Prozent auf Kohle und verflüssigtes Erdgas aus den USA erhoben werden. Für Öl und landwirtschaftliche Maschinen soll demnach ein Zusatzzoll von zehn Prozent gelten.
Und auch die Europäische Union bereitet sich auf einen möglichen Handelskrieg mit den USA vor. Nach Trumps Ankündigung zu neuen Zöllen zeigten sich die europäischen Staats- und Regierungschefs bei einem Gipfeltreffen in Brüssel entschlossen, vergleichbare Entscheidungen gegen die EU nicht einfach hinzunehmen. Als starker Wirtschaftsraum könne man auf Zollpolitik mit Zollpolitiken reagieren, sagte unter anderem Luxemburgs Regierungschef Luc Frieden: „Wir sind nicht schwächer als die Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn jemand einen Handelskrieg will, dann kriegt er ihn.“
Trump warnt seine Klientel schon einmal vor
Auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social räumte Trump bereits ein, dass seine Zölle „vielleicht" etwas weh tun würden. „Aber ... es wird den Preis wert sein, den wir zahlen müssen." Machiavelli übrigens war der Ansicht, dass ein Herrscher neben Grausamkeiten auch Wohltaten den eigenen Beherrschten zugute kommen lassen müsse – doch diese sollte man ihnen „nach und nach erweisen, damit sie nachhaltiger wirken“. Es bleiben Zweifel, ob Trump sowie den Amerikanern dieses Glück in der nächsten Zeit widerfahren wird.
Und noch ein Wort zu Thukydides: Dessen „Peloponnesischer Krieg“ ist seit Ewigkeiten Pflichtlektüre am U.S. Naval War College in Newport, Rhode Islands – als Warnung vor Hybris und Selbstüberschätzung. Denn bekanntermaßen verlor die Seemacht Athen den Peloponnesischen Krieg gegen die Landmacht Sparta.
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