Der Ökonom Fritz Söllner zieht ein kritisches Fazit zur europäischen Krisenpolitik der vergangenen 20 Jahre. Im Gespräch mit dieser Zeitung erklärt er: „Es entsteht der Eindruck, dass Krisen zum allergrößten Teil instrumentalisiert worden sind, um eine bestimmte Agenda voranzutreiben.“ Aus Söllners Sicht bestehe diese Agenda darin, einen „europäischen Zentralstaat“ zu etablieren. „Es werden immer mehr Macht und Kompetenzen in Brüssel angesiedelt, was zulasten der Mitgliedsstaaten geht.“
Rechtsstaat spielt in Krisenpolitik immer geringere Rolle
Generell habe man mit der Politik zur Bewältigung von Krisen kaum Erfolg gehabt, mit Ausnahme der Banken- und Finanzkrise, so Söllner weiter. Seither habe man in den verschiedenen Krisen „weder kurzfristig die Krisenfolgen bewältigt noch längerfristig die Krisenursachen gelöst“, bemängelt der Ökonom, der an der Technischen Universität Ilmenau eine Professur für Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Finanzwissenschaft innehat.
Söllner verweist auf den Koalitionsvertrag der Bundesregierung, mit dem man einen „föderalen europäischen Bundesstaat“ anstrebe, der dezentral und subsidiär organisiert sein solle. „Wenn das so wäre wie in den Vereinigten Staaten, wo die Bundesstaaten relativ viel Autonomie haben, dann könnte man damit leben.“ Dies sei jedoch nicht beabsichtigt, kritisiert der 59-Jährige. Vielmehr gehe der Trend eher zu einem zentralistischen Gebilde, das „sehr bürokratisch und dirigistisch“ organisiert sei. Nach Ansicht Söllners gehe dies auf Kosten des Wohlstandes und der Wirtschaftskraft der einzelnen Mitgliedsländer, „weil Gleichheit höher geschätzt wird als Innovation und wirtschaftlicher Fortschritt“. Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften würden kaum toleriert werden.
Zudem kritisiert Söllner, dass der Rechtsstaat in der Krisenpolitik eine immer geringere Rolle spiele. Als Beispiel nennt er die Migrationskrise: „Da ist das Asylgesetz missachtet worden.“ Die Grenzen seien geöffnet worden, obwohl man gemäß dem Asylgesetz „alle Asylsuchenden, die aus sicheren Drittstaaten einreisen, das waren mehr als 95 Prozent, an der Grenze hätte zurückweisen müssen“. Ähnliches gelte für die Bewältigung der Corona-Pandemie. Dazu erlassene Regeln hätten dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz widersprochen. Ein weiteres Beispiel sei die Klimakrise und die Klimapolitik. Man habe begonnen, "massiv in das Wirtschaftsleben und die Lebensweise der Bürger einzugreifen", betont Söllner. "Diese immer weiter zunehmende Bürokratisierung und Regulierung wird nicht ohne Folgen bleiben." DT/mlu
Lesen Sie das ausführliche Interview mit Fritz Söllner in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".