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Entdecker der microRNA erhalten Nobelpreis für Medizin

Die entscheidenden Arbeiten, in denen Victor Ambros und Gary Ruvkun eine neue Ebene der Genregulation beschrieben, wurden von der Gemeinschaft der Wissenschaftler jahrelang ignoriert.
Victor Ambros und Gary Ruvkun erhalten Nobelpreis für Medizin
Foto: IMAGO/Christine Olsson/TT (www.imago-images.de) | Victor Ambros und Gary Ruvkun erhalten den Nobelpreis für Medizin für die Entdeckung der sogenannten microRNA und deren Rolle bei der Genregulation.

Den Nobelpreis für Medizin erhalten in diesem Jahr die beiden US-Amerikaner Victor Ambros und Gary Ruvkun für die Entdeckung der sogenannten microRNA und deren Rolle bei der Genregulation. Das teilte das Karolinska-Institut heute in Stockholm mit.

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Organe und Gewebe bestehen aus vielen verschiedenen Zelltypen, die jedoch alle die gleichen genetischen Informationen (DNS) in den Zellkernen einer jede Zelle gespeichert haben. Trotz der gleichen Information stellen die verschiedenen Zellen völlig verschiedene Sätze von Proteinen her. Möglich ist das durch die präzise Regulierung der Genaktivität, die dafür sorgt, dass in jedem spezifischen Zelltyp nur der „passende“ Satz von Genen aktiv ist. Darüber hinaus muss die Genaktivität ständig feinabgestimmt werden, um die Zellfunktionen an die sich ändernden Bedingungen in einem Organismus und dessen Umwelt anzupassen. Läuft die Genregulation aus dem Ruder, kann dies zu Krankheiten wie Krebs führen.

Die Erforschung eines Wurms führt zur Entdeckung einer neuen Ebene der Genregulation

In den 1960er Jahren hatten Wissenschaftler gezeigt, dass spezialisierte Proteine, die so genannten Transkriptionsfaktoren, an bestimmte Bereiche der DNS binden und den Fluss der genetischen Information steuern können, indem sie festlegen, welche mRNAs produziert werden. Seitdem wurden Tausende von Transkriptionsfaktoren identifiziert, und lange Zeit glaubte man, dass die wichtigsten Prinzipien der Genregulation geklärt seien. Doch 1993 veröffentlichten Ambros und Ruvkun „unerwartete Ergebnisse, die eine neue Ebene der Genregulierung beschrieben“, begründet die Nobelversammlung in ihrer Pressemittelung die Preisvergabe.

In den späten 1980er Jahren waren Victor Ambros und Gary Ruvkun Postdoktoranden im Labor von Robert Horvitz, der 2002 zusammen mit Sydney Brenner und John Sulston den Nobelpreis erhalten hatte. In Horvitz' Labor untersuchten sie den nur rund einen Millimeter langen Rundwurm, C. elegans. Trotz seiner geringen Größe besitzt C. elegans viele spezialisierte Zelltypen wie Nerven- und Muskelzellen, die auch in größeren, komplexeren Tieren zu finden sind, was ihn zu einem nützlichen Modell für die Untersuchung der Entwicklung und Reifung von Geweben in mehrzelligen Organismen macht. Ambros und Ruvkun interessierten sich für Gene, die den Zeitpunkt der Aktivierung verschiedener genetischer Programme steuern und so sicherstellen, dass sich verschiedene Zelltypen zum richtigen Zeitpunkt entwickeln. 

„Scientific community“ reagierte mit „ohrenbetäubendem Schweigen“

Sie untersuchten zwei mutierte Wurmstämme (lin-4 und lin-14) die Defekte bei der zeitlichen Aktivierung von genetischen Programmen während der Entwicklung aufwiesen. Die Preisträger wollten die mutierten Gene identifizieren und ihre Funktion verstehen. Dabei entdeckten sie ein neues Prinzip der Genregulierung, das durch eine bisher unbekannte Art von RNA, die microRNA, vermittelt wird. Die Ergebnisse wurden 1993 in zwei Artikeln in der Fachzeitschrift „Cell“ veröffentlicht.

Wie das Nobelversammlung in seiner Pressemittelung weiter schreibt, seien „die veröffentlichten Ergebnisse in der wissenschaftlichen Gemeinschaft zunächst auf ein fast ohrenbetäubendes Schweigen“ gestoßen. „Obwohl die Ergebnisse interessant waren, wurde der ungewöhnliche Mechanismus der Genregulierung als eine Besonderheit von C. elegans betrachtet, die für den Menschen und andere komplexere Tiere wahrscheinlich irrelevant ist.“

Diese Sichtweise habe sich „erst im Jahr 2000“ geändert, „als Ruvkuns Forschungsgruppe ihre Entdeckung einer weiteren microRNA veröffentlichte, „die im gesamten Tierreich vorhanden“ war. „Der Artikel weckte großes Interesse, und in den folgenden Jahren wurden Hunderte von verschiedenen microRNAs identifiziert.“ Heute wissen man, „dass es beim Menschen mehr als tausend Gene für verschiedene microRNAs gibt und dass die Genregulation durch microRNAs bei mehrzelligen Organismen universell ist“.

Forscher erhalten zusammen 970.000 Euro Preisgeld

Die Auszeichnung ist mit 11 Millionen schwedischen Kronen dotiert, rund 970.000 Euro, die je zur Hälfte an die beiden Forscher gehen. Victor Ambros wurde 1953 in Hanover, New Hampshire, USA, geboren. Er promovierte 1979 am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, MA, wo er auch von 1979 bis 1985 als Postdoktorand forschte. Seit 1985 ist er leitender Forscher an der Harvard University in Cambridge. Von 1992 bis 2007 war er Professor an der Dartmouth Medical School und ist jetzt Silverman-Professor für Naturwissenschaften an der University of Massachusetts Medical School in Worcester.

Gary Ruvkun wurde 1952 in Berkeley, Kalifornien, USA, geboren. Er promovierte 1982 an der Harvard University. Von 1982 bis 1985 war er Postdoktorand am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Seit 1985 ist er Principal Investigator am Massachusetts General Hospital und an der Harvard Medical School, wo er heute Professor für Genetik ist.

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Stefan Rehder

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