Gestern hat die britische Zulassungsbehörde MHRA zwei Unternehmen aus der Schweiz und den USA eine bedingte Zulassung für das Inverkehrbringen einer gemeinsam entwickelten Therapie zur Behandlung der beiden Blutkrankheiten Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie erteilt, bei der auf die CRISPR/Cas9-Technologie zurückgegriffen wird. Die Genehmigung ist auf ein Jahr befristet und gilt für Patienten, für die kein passender Stammzellspender gefunden werden konnte.
Ethisch betrachtet lassen sich keine prinzipiellen Einwände dagegen erheben, Menschen, denen bisher nicht anders nicht geholfen werden kann, mit dieser neuartigen Therapiemethode die Chance auf Heilung oder aber zumindest Milderung ihrer erheblichen Krankheitslast zu eröffnen. Wohl aber sind Vorsicht und Aufklärung, auch der Öffentlichkeit, geboten. Und das aus mehr als nur einem Grund.
Das menschliche Genom muss weiterhin als unverstanden gelten
Die Gentherapie hat in der Vergangenheit viel versprochen und bislang wenig geliefert. Und auch wenn viele der Biobastler ungeachtet der nicht wenigen Rückschläge weiterhin leichtfertig die utopische Vision einer Welt ohne Krankheit und Leiden verbreiten und bei öffentlichen Auftritten bisweilen den Eindruck erwecken, vor lauter Kraft nicht Laufen zu können, so gilt doch immer noch: Das menschliche Genom ist trotz aller Anstrengungen und jahrzehntelanger globaler Forschung keineswegs vollständig verstanden. Welche Auswirkungen die Veränderung von einzelnen Genen für einen Organismus hat, ist daher auch weiterhin, erst recht auf lange Sicht, kaum vorhersehbar.
Ferner: Es ist kein Zufall, dass die Therapie zunächst in Großbritannien zugelassen wurde. Gemeinsam mit China und Israel verfügt Großbritannien über die geringsten Auflagen auf diesem Forschungsfeld. Was hier als „streng“ betrachtet wird, würde andernorts als „lasch“ bezeichnet.
Kein Eingriff in die Keimbahn
Anderseits gilt: Bei der jetzt bedingt zugelassenen Therapie werden den Patienten zunächst schadhaft mutierte Knochenmarkstammzellen entnommen und anschließend im Labor mittels der Genschere CRISPR/Cas-9 so verändert, dass sie statt des krankheitsverursachen, wieder normales Hämoglobin herstellen können. Die therapierten Zellen werden anschließend über eine Infusion an den Patienten zurückgegeben. Mit anderen Worten: Diese „ex vivo“-Methode stellt keinen der zu Recht gefürchteten Eingriffe in die menschliche Keimbahn dar. Daher können die genetherapeutisch veränderten Zellen von dem Patienten auch nicht weitervererbt werden.
Allerdings besteht auch hier das Risiko, dass „CRISPR zu falschen genetischen Modifikationen, mit unbekannten Folgen für die behandelten Zellen führen kann“, wie es etwa David Rueda, Inhaber des Lehrstuhls für Molekulare und Zelluläre Biophysik am Imperial College in London, formuliert. Ein Risiko, das angesichts der Krankheitslast der Betroffenen und in Ermangelung von Alternativen jedoch ethisch vertretbar ist. Wie erfolgreich die experimentelle Therapie ist, können Fachleute aus den Genomsequenzierungsdaten der behandelten Zellen ersehen. Diese Daten vollständig unabhängigen Experten zur Beurteilung zur Verfügung zu stellen, wäre daher eine vertrauensbildende Maßnahme. Eine, mit der die Branche auch einen Teil des in der Vergangenheit mutwillig verspielten Kredits zurückgewinnen könnte.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.