Der heilige Sir Thomas Morus (1478–1535) war ein sparsamer Mensch. Für einen Gedanken wollte er nur einen Penny zahlen. Offenbar schließt Sparsamkeit aber Großzügigkeit nicht aus. Denn in seiner Abhandlung über „Die Vier Letzten Dinge“ schenkte der britische Märtyrer der Nachwelt, zusätzlich zu seinem heiligmäßigen Leben, auch die Redewendung „a penny for your thought“ (Einen Pfennig für Deinen Gedanken). Der kanadische Milliardär Elon Musk (Tesla, SpaceX), der bislang weder im Ruf der Heiligkeit steht noch als sonderlich sparsam gilt, ist bereit, dafür Millionen auszugeben. Allerdings will Musk auch nicht bloß einen Gedanken, sondern möglichst viele und noch dazu von möglichst allen.
Um an die heranzukommen, gründete der bekennende Transhumanist 2016 das Start-up-Unternehmen „Neuralink“. Ende März stellte das Unternehmen in einem Livestream auf Musks Social Media-Plattform X den ersten Schach spielenden Menschen vor, dem das Unternehmen zuvor einen Chip in das Gehirn implantiert hatte. Dank des Implantats soll der seit einem Tauchunfall von der Schulter abwärts gelähmte 29-Jährige den Cursor allein mit der Kraft seiner Gedanken gesteuert haben.
Technologie eng begrenzt
Möglich machen dies von einem Chirurgie-Roboter im Gehirn verlegte mikrofadenförmige Elektroden, die neuronale Signale im Gehirn sammeln können und mit einem unter der Haut auf dem Schädelknochen verbauten Chip verbunden sind, der sie via Bluetooth, also kabellos, an externe Endgeräte überträgt. Damit das Endgerät aber anzeigt, was der gechipte Mensch gedanklich beabsichtigt, ist derzeit wochen- oder gar monatelanges Training erforderlich. So sind der Neuralink-Technologie, Gott sei es gedankt, enge Grenzen gesetzt. Ihre Mikrofäden sind mit einigen tausend Elektroden ausgestattet. Um die gesamte bioelektrische Aktivität des Gehirns auffangen zu können, bräuchte es Milliarden von ihnen. Nur ist, soviel ist bereits jetzt sicher, das Nervengewebe des Gehirns für die Verlegung solcher Mengen an Mikrofäden nicht gemacht. Auch jetzt weiß niemand, welche mittel- oder langfristigen Folgen die Implantate zeitigen werden.
Es mag herzlos klingen: Aber weit bedeutsamer, als wem auf diese Weise vielleicht einmal geholfen werden mag – Musk wirbt ähnlich schamlos wie Stammzellforscher zur Jahrtausendwende mit völlig haltlosen Heilungsversprechen für Parkinson-, Alzheimer- und Epilepsiekranke; Krankheiten, die ebenso wie das Gehirn selbst bisher weitgehend unverstanden sind und daher notwendig enttäuscht werden müssen – ist nach Lage der Dinge das reduktionistische Menschenbild, das den Unternehmungen von Musk und einem Heer von Mitbewerbern zugrunde liegt. Denn: Der Mensch ist keine biologische Maschine, die von genetischen Programmen gesteuert wird.
Weil er das nicht ist, haben die Neurowissenschaften bis heute, trotz jahrzehntelanger Forschung und verbrannter Forschungsmilliarden, keinen blassen Schimmer, was Bewusstsein ist oder wie ein Gedanke gedacht wird. Nur schließt das bedauerlicherweise die Möglichkeit der Manipulation nicht aus. Ein Tor ist immer von zwei Seiten begehbar. Wer mittels einer Hirn-Computer-Schnittstelle (Brain Machine Interface) einen Computer steuern kann, kann womöglich am Ende auch mittels eines Computers gesteuert werden. Sei es nur, um dumpf und fraglos zu konsumieren, was die Werbewirtschaft ihm vorgesetzt. Sei es, um die ambitionierteren Interessen Anderer zu befördern. Was Sir Thomas Morus dazu sagen würde? Vielleicht: Einen Neuralink für Musks Gedanken.
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