Ein sozialversichertes Ehepaar mit vier minderjährigen Kindern klagt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gegen die Nichtberücksichtigung ihrer Kindererziehung bei der Beitragserhebung zur Renten- und Krankenversicherung. Der Deutsche Familienverband (DFV) und der Familienbund der Katholiken (FDK) unterstützen sie darin, wie aus einer Pressemitteilung des DFV hervorgeht.
Wörtlich heißt es in ihrer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof: „Durch die beitragsrechtliche Ausgestaltung der gesetzlichen Sozialversicherung mit ihren finanziell überfordernden Wirkungen werden Familien unter das Existenzminimum gedrückt und in ihrem Menschenrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt. Die überaus niedrige Rentenhöhe und die Altersarmut von Müttern zeigt schließlich die tatsächliche Geschlechterungleichheit und die verbotene Diskriminierung der Lebensleistungen von Müttern.“
Bedeutung der Kindererziehung nur unzureichend berücksichtigt
„Die umlagefinanzierten Systeme der Renten-, Kranken-, und Pflegeversicherung beruhen auf zwei Leistungen, um dauerhaft bestehen zu können: auf den Geldleistungen der Beitragszahler und auf der Erziehung von Kindern. Bisher wird die Bedeutung der Kindererziehung nur völlig unzureichend berücksichtigt“, äußert sich Matthias Dantlgraber, Bundesgeschäftsführer des FDK, zu der Beschwerde.
„Als Ausgleich für diese Schieflage braucht es in der Sozialversicherung einen Kinderfreibetrag, der sicherstellt, dass auf das Existenzminimum von Kindern keine Sozialabgaben erhoben werden. Im Steuerrecht ist das eine Selbstverständlichkeit und verfassungsrechtliche Vorgabe“, so auch Sebastian Heimann, Bundesgeschäftsführer des DFV.
Ein weiteres Argument dafür, die Kinderzahl bei der Berechnung von Renten- und Krankenversicherungsbeiträgen zu berücksichtigen, führt der frühere Landessozialrichter Jürgen Borchert aus. Er vertritt sowohl die Familie als auch die Familienverbände. Beide Beiträge, der in Geld wie auch der generative, seien als Konsumverzicht im Kern ökonomisch identisch. Daher stelle sich die Frage, weshalb in den „Vorsorgesystemen“ nur der Konsumverzicht für Rentenzahlungen in der Gegenwart berücksichtigt werde, hingegen der zukunftsgewandte generative nicht.
2022 setzten die die Familienverbände beim Bundesverfassungsgericht erfolgreich durch, Ungerechtigkeiten zu Lasten der Familien in der sozialen Pflegeversicherung zu beseitigen. Seit dem 1. Juli 2023 muss der Gesetzgeber die Beitragslasten von Mehrkinderfamilien gestaffelt nach Kinderzahl ermäßigen.
Müttern droht die Altersarmut
Der Antrag auf Ausgleich in der Renten- und Krankenversicherung scheiterte jedoch. Das Bundesverfassungsgericht argumentierte hier mit angerechneten Kindererziehungszeiten. „Obwohl gerade Mütter den ‚Löwenanteil‘ der Sorge für die nachfolgende Generation leisten, werden sie mit der Rente direkt in die Altersarmut geschickt“, verwies Borchert in der Beschwerde explizit auf die Gefahr, dass (alleinerziehende) Mütter im Alter verarmen würden. „Gerade in der Alterssicherung wird die absolute Geringschätzung der Kindererziehungsleistung von Müttern sichtbar. Ein klarer Verstoß gegen Menschenrechte. Der demografische Niedergang ist das Ergebnis struktureller Rücksichtslosigkeit gegenüber den Eltern.“ DT/elih
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