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Kinder in Deutschland werden ärmer

Armut der Familien nimmt zu. Kinderarmut definiert sich durch das Familieneinkommen der Familie, in der das Kind lebt. Kindergrundsicherung soll sich an der gesellschaftlichen Mitte ausrichten.
Armut zeigt sich oft an den Schuhen
Foto: Andreas Poertner via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Immer mehr Kinder in Deutschland sind arm, weil sie in armen Familien leben.

In Deutschland ist mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene von Armut bedroht. Zu diesem Ergebnis kommt eine Analyse der Bertelsmann Stiftung, die am Donnerstag veröffentlicht wurde. Bei der Auswertung statistischer Daten von Bund und Ländern, der Bundesagentur für Arbeit sowie des Mikrozensus verwendete die Stiftung die beiden in der Wissenschaft anerkannten Armutsdefinitionen.

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Armutsdefinition für Kinder

Demnach waren 2021 knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche und weitere rund 1,55 Millionen junge Menschen zwischen 18 und 25 Jahren betroffen. Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern sind überdurchschnittlich armutsgefährdet. So beträgt die Armutsrisikoquote für Paarfamilien mit drei und mehr Kindern 31,6 Prozent. Das ist fast dreimal so hoch wie bei Paarfamilien mit zwei Kindern. Alleinerziehende sind ohne Differenzierung nach der Kinderzahl zu 41,6 Prozent armutsgefährdet.
Auch der Wohnort entscheidet in Deutschland über Armut. Der Anteil armutsgefährdeter Kinder und Jugendlicher in den Bundesländern ist unterschiedlich hoch. Mit 13,4 Prozent weist Bayern den niedrigsten Wert auf, während Spitzenreiter Bremen auf 41,1 Prozent kommt.

"Wer als junger Mensch in Armut aufwächst, leidet täglich unter Mangel, Verzicht und Scham und hat zugleich deutlich schlechtere Zukunftsaussichten. Das ist sowohl für die Betroffenen selbst als auch für die Gesellschaft als Ganzes untragbar", kommentiert Anette Stein, Director Bildung und Next Generation bei der Bertelsmann Stiftung, die Ergebnisse des Factsheets Kinder-und Jugendarmut in Deutschland. Die Lage der Familien habe sich zuletzt nicht gebessert, sondern durch aktuelle Krisen und Preissteigerungen verschärft.

Nach der sozialstaatlich definierten Armutsgrenze gelten Kinder gelten als arm, wenn sie in einem Haushalt leben, der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (bis 2022 SGB II/ Hartz IV – ab 2023 Bürgergeld) erhält.  Zudem gelten Kinder und Jugendliche als armutsgefährdet, wenn sie in Haushalten leben, deren Einkommen weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens aller Haushalte beträgt. Die Armutsgefährdungsschwelle liegt im Jahr 2021 für Paar-Haushalte mit einem Kind unter 14 Jahren bei 2.066 Euro, für Paar-Haushalte mit drei Kindern – davon zwei unter und eins über 14 Jahren - bei 2.984 Euro und bei Alleinerziehenden mit zwei Kindern unter 14 Jahren bei 1.836 Euro.

Ausgestaltung ist wichtig

Aufgrund der Ergebnisse der Analyse fordert die Bertelsmann Stiftung, die Politik müsse die im Koalitionsvertrag versprochene Kindergrundsicherung zügig einführen. Als zentralen Maßstab nennt das Papier, dass die Kindergrundsicherung Armut "wirksam vermeidet".

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Auch der Familienbund der Katholiken sieht angesichts der weiterhin hohen Zahlen der Kinder- und Jugendarmut ein „zeitnahes politisches Handeln auf vielen Ebenen“ als dringlich an. Bei der geplanten Kindergrundsicherung komme es aber auf die konkrete Ausgestaltung an. Richtig sei, dass die Eckpunkte zur Kindergrundsicherung die Regelbedarfe für Kinder zukünftig stärker als bisher an den Haushaltsaufgaben der gesellschaftlichen Mitte auszurichten wollten, führt Ulrich Hoffmann, Präsident des Familienbundes der Katholiken, aus.

Laut Hoffmann müssten die verfassungsrechtlich garantierten Kinderfreibeträge auch mit Einführung einer Kindergrundsicherung in vollem Umfang erhalten bleiben: „Es geht bei den Freibeträgen um Steuergerechtigkeit. Zudem ist es für die Selbstwirksamkeit, Unabhängigkeit und freie Lebensgestaltung der Familien ein großer Unterschied, ob sie ihre Existenz durch eigenes Einkommen sichern können oder staatliche Leistungen beantragen müssen.“

Gefahr von Vertrauensverlust

Die hohe Armutsquote unter Alleinerziehenden und Familien mit mehr als drei Kindern sei „erschreckend“. „Wenn die Unterstützung nicht ausreicht, schwindet auch das Vertrauen und diese langfristigen Folgen spüren wir dann auch in einem Vertrauensverlust in unsere Demokratie“, so Hoffmann.

Für mehr soziale und kulturelle Teilhabe und eine nachhaltig wirksame Armutsbekämpfung brauche es eine Vielzahl an Unterstützungen. Daher fordert der Familienbund den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus und eine Reform des Bafög. Auch die Bildungsmöglichkeiten für Kinder seien zu stärken. DT/chu

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