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Hilfe muss mit dem eigenen Wohl vereinbar sein

Es gibt kein Naturrecht auf Migration, dafür ist es die naturrechtliche Pflicht des Staates, das Gemeinwesen zu schützen – auch vor den schädlichen Effekten der Massenmigration.
Flüchtlinge am Grenzübergang Sentilj Spielfeld Flüchtlinge am Grenzübergang Spielfeld
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Balkanroute 2015: Flüchtlinge werden von der Polizei zum Grenzübergang Spielfeld gebracht.

Wir leben im Zeitalter der Menschenrechte. Wer sich auf ein Menschenrecht berufen kann, hat einen Trumpf im moralischen Diskurs. Können sich Befürworter der sich seit 2015 nach Europa zielenden Migrationsströme auf ein solches Recht berufen?

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Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte kennt kein allgemeines Recht auf Migration im Sinne eines Anspruchsrechts, in einen Staat seiner Wahl einzureisen und sich dort dauerhaft aufzuhalten. In Artikel 13 heißt es dagegen nur: „Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“ Das Menschenrecht, von dem hier die Rede ist, betrifft also nur das Verhältnis eines Menschen zu seinem Gemeinwesen, postuliert aber keine Pflicht von Staaten, jeden Nicht-Staatsbürger aufzunehmen, der danach verlangt. Analoges gilt auch vom Menschenrecht auf Asyl. Artikel 14 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte artikuliert nur das Recht, „in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen“. Das Recht, Asyl zu suchen und bei Gewährung zu genießen, heißt aber eben nicht, dass Staaten auch eine Pflicht hätten, Asylgesuche zu gewähren. Es handelt sich eben um Gesuche, nicht um Anspruchsrechte.

Nun ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte nicht zwangsläufig identisch mit der moralischen Realität. Gibt es daher vielleicht nicht doch ein Recht auf Migration, von dem diese Erklärung nichts weiß? Sollen Menschenrechte mehr sein als soziale Konstrukte, die immer wieder neu verhandelbar sind, und stattdessen die bleibende moralische Realität wiedergeben, müssen sie sich aus dem überzeitlichen Wesen – der beständigen Natur – des Menschen ableiten lassen. Der Menschenrechtsdiskurs basiert daher wohlverstanden auf dem, was das Jahrtausend der christlichen Philosophie, sprich: das Mittelalter, „Naturrecht“ genannt hat. Das Naturrecht bezeichnet seinem ursprünglichen Charakter nach aber keine individuellen Anspruchsrechte, sondern das in der Natur des Menschen beschlossene Gesetz (lex naturalis), das der Mensch befolgen muss, wenn er seine Bestimmung als Mensch auf möglichst vollkommene und glücksträchtige Weise verwirklichen soll. Um auf bestmögliche Weise Mensch zu sein, muss der Einzelne dem natürlichen Gesetz, oder wie wir heute etwas missverständlich sagen: dem Naturrecht, folgen.

Auch Staaten sind durchaus zu Akten der Nächstenliebe aufgerufen

Der Mensch als leibliches Wesen ist angehalten, als Erstes seine natürlichen Bedürfnisse nach Obdach und Nahrung zu befriedigen. Zugleich ist der Mensch seiner Natur nach aber auch ein gemeinschaftliches Wesen, das dazu bestimmt ist, in einem Gemeinwesen zu leben. Die Aufrechterhaltung und Stabilität seines Gemeinwesens zu wollen, ist daher ebenso Teil des natürlichen Gesetzes. Das gilt ganz besonders für jene, denen die Herrschaft und Fürsorge über das Gemeinwesen übertragen ist. Die politische Klugheit, das Wohl des je eigenen Gemeinwesens zu fördern und die Destabilisierung der Institution und der öffentlichen Ordnung zu vermeiden, ist der Zweck und damit die höchste naturrechtliche Pflicht des Staates. Wie die verheerenden Folgen der unkontrollierten Massenmigration seit 2015 gezeigt haben – überlastete Sozialsysteme, gesellschaftliche Spaltung, Überrepräsentation von Ausländern bei Gewaltkriminalität – sind die europäischen Staaten dieser naturrechtlichen Kernpflicht nicht nachgekommen.

Dass es kein Naturrecht auf (erfolgreiche) Migration gibt, bedeutet indes nicht, dass Staaten das Leid und die Anliegen von Bürgern anderer Länder einfach ignorieren dürften. Wie Individuen sind auch sie durchaus zu Akten der Nächstenliebe aufgerufen, insbesondere ihren Nachbarn gegenüber. Im Fall von Krieg oder Naturkatastrophen sollen Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten Hilfe leisten – durch temporäre Aufnahme von Menschen oder auch durch finanzielle, logistische und anderweitige Unterstützung.

Diese Hilfe muss aber stets mit dem Wohl und der Stabilität des eigenen Gemeinwesens vereinbar sein. Wenn ein Familienvater einen ihm unbekannten Obdachlosen über Nacht in das Haus aufnimmt, in dem seine Frau und seine Kinder schlafen, ohne zu wissen, ob der Fremde drogensüchtig oder geistig verwirrt ist, handelt er nicht im eigentlichen Sinne tugendhaft, sondern fahrlässig. Ähnliches gilt auch von Staaten, die unter dem Deckmantel der „Menschlichkeit“ die ihnen naturrechtlich zukommenden Schutzpflichten ihren Bürgern gegenüber vernachlässigen.

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Sebastian Ostritsch Migration Naturkatastrophen

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