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Du sollst ihnen ein Bild machen

Die Erinnerungen von Kai Diekmann an seine Zeit als „Bild“-Chefredakteur werfen Fragen auf: zur Bedeutung der Medien für die Gesellschaft und zum journalistischen Handwerk.
Kai Diekmann
Foto: Christoph Hardt, via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Früher machte er die Bild, als Buchautor ist ihm nun das Selfie gelungen: Kai Diekmann.

In Kai Diekmanns altem Stamm-Haus, dem Springer-Verlag, dreht sich gerade das Personal-Karussell: Der alte Fahrensmann Stefan Aust scheidet als Herausgeber der „Welt“ aus, sein Nachfolger wird Ulf Poschardt, den löst als „Welt“-Chefredakteur wiederum Jan Philipp Burgard ab. Bewegung und Veränderung – das ist nicht nur aktuell so, sondern beides war schon immer  für das Mediengeschäft der Normalzustand, erst recht im Springer-Verlag und dort nicht nur in der blauen „Welt“-Gruppe, sondern viel mehr noch für die roten „Bild“-Titel.

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Allein schon deswegen kann Kai Diekmann für sich eine Sonderposition beanspruchen. Der mittlerweile 60-Jährige stand von Januar 2001 bis Dezember 2015 an der Spitze der „Bild“, so lange wie niemand sonst in der Geschichte dieser Zeitung. Der Titel seiner Erinnerungen ist aber nicht nur biographisch, sondern  auch journalistisch programmatisch zu verstehen: „Ich war Bild.“

Ein fruchtbarer Entwöhnungsprozess

Diekmanns Memoiren sind eine Art Selfie, ein Selbstbildnis –  gleichzeitig beschreibt er dabei, worin die Hauptaufgabe von Europas größter Boulverardzeitung liegt und wie man die löst: Es geht darum, Bilder von Menschen zu zeichnen. Die Zeitung hilft ihren Lesern dabei , sich ein „Bild“ zu machen, von den Reichen, den Schönen und den Mächtigen. Die journalistische Grundregel, die Diekmann zwar nicht direkt ausspricht, die aber klar herauszulesen ist, lautet: Du sollst ihnen ein Bild machen. Dieses Bild zu zeichnen, das ist keine Aufgabe, die in einem Nine-to-Five-Job zu erledigen ist, sie füllt das ganze Leben aus. Diekmann bekennt denn auch freimütig, dass „Bild“ für ihn wie eine Droge gewesen sei. Wenn man so will, ist er immer noch auf Entzug, sein Buch beweist aber, dass dieser Entwöhnungsprozess fruchtbar ist: Präsentiert er doch seinen Lesern Anknüpfungspunkte zur Reflexion über grundsätzliche Probleme, die für die Medienbranche insgesamt relevant sind.

Diekmann ist in der Lage, kritisch darauf zu schauen, wie er einst Bilder gezeichnet hat und nun, wenn man so will, die Strichführung zu korrigieren. Neben anderen stechen hier vor allem zwei Beispiele heraus: Einmal Gerhard Schröder, mit dem Kohl-Fan Diekmann während dessen Kanzlerschaft quasi durchgängig gerauft hat. Nun hebt er aber die charakterlichen Qualitäten hervor. Als „Bild“-Legende Peter Boenisch gestorben war und zwei kleine Kinder hinterließ, signalisierte das Ehepaar Schröder die Bereitschaft, die Waisen bei sich aufzunehmen.

Ein anderes Beispiel: Der russische Präsident Wladimir Putin, mit dem Diekmann mehrmals persönlich zusammentraf. Sind ihm die Deutschen in zu großer Naivität begegnet? Haben die Deutschen überhaupt verstanden, was die Russen nach dem Ende des „Kalten Krieges“ umgetrieben hat? Diekmann macht Mut zum zweiten Blick und zur Bereitschaft, erste Eindrücke zu überdenken. Ein Bild zeichnen – das ist eben ein Arbeitsprozess, der nie aufhört. Diekmanns Erinnerungen werfen aber auch Fragen auf: Seine Ära als Chefredakteur war der Abschluss einer Medien-Epoche. Damals bestimmte seine Zeitung noch, worüber die Deutschen in ihrer Mittagspause diskutiert haben. Das ist nicht mehr so. Wo steht heute die Bühne, auf der die Bilder gezeichnet werden, auf die die gesamte Öffentlichkeit schaut? Und welche Folgen hat es, wenn es solche Bühnen nicht mehr gibt?


Kai Diekmann: Ich war Bild. Ein Leben zwischen Schlagzeilen, Staatsaffären und Skandalen. DVA 2023, 544 Seiten, EUR 34.–

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