Herr Professor Wagner, auf der Plattform Change.org läuft eine Petition an Papst Leo, in der behauptet wird, der Kölner Kardinal Woelki sei nicht tragbar. Wie seriös ist die Plattform?
Erlauben Sie mir vielleicht am Anfang, ganz kurz den Rahmen etwas aufzuziehen und den Absender dieser Kampagne anzuschauen. Dies ist keine nur auf diesen Anlass bezogene Aktion, auch wenn der Anschein erweckt werden soll, hier werde eine konkrete Rechtsfrage behandelt – die nebenbei bemerkt – verdreht wird. Die meisten der Unterzeichner, sofern es existierende Menschen sind, kennen sie ohnehin kaum oder können sie kaum einschätzen und unterschreiben trotzdem. Dies zeigen ja auch die oft ahnungslosen und wirren Kommentare in den sozialen Medien und auf der Plattform selbst.
"Die Initiatoren um Herrn Pfarrer Rothe
führen seit Jahren einen kommunikativen Feldzug
gegen verschiedene Würdenträger und auch gegen Kardinal Woelki"
Die Initiatoren um Herrn Pfarrer Rothe führen seit Jahren einen kommunikativen Feldzug gegen verschiedene Würdenträger und auch gegen Kardinal Woelki. Herr Rothe selbst, zu dessen Person sich jeder selbst informieren sollte, zeigt dabei immer wieder, dass er sich mit einer weltkirchlichen Perspektive und auch mit der Verfasstheit und Lehre der katholischen Kirche ganz grundsätzlich etwas schwertut. Eine ähnlich protestantische Freestyle-Akrobatik pflegt er auch in Fragen der rechtsstaatlichen Prozesse, wie ja auch die Formulierung der Petition zeigt.
Aus der PR- und Mediensicht wissen wir: Jede gute Story braucht Helden und Bösewichte – dies wird von Herrn Rothe nahezu perfekt inszeniert. Er selbst hat sich, dankbar von den Massenmedien aufgenommen, die diese Mechanismen ja auch gern bedienen, als Opfer einer unmenschlichen Hierarchie und Kämpfer für eine mutmaßlich menschlichere Kirche inszeniert. Kardinal Woelki wird hier immer wieder dankbar als Antagonist genommen. Der Grund: Er steht fest zur Weltkirche und Rom und auf dem Boden des kirchlichen Lehramtes. Das alles wirkt, ganz unabhängig davon ob und welche Verfehlungen es im Erzbistum gegeben hat, die man auch diskutieren muss, nur eben nicht so, und die auch diskutiert und geprüft wurden – nicht zuletzt im Vatikan selbst, wobei Papst Franziskus entschieden hat, dass Kardinal Woelki im Amt bleibt.
Warum dann jetzt diese Aktion auf der Plattform change.org?
Einerseits weil wir jetzt vor dem Hintergrund der letzten Verfahrensschritte einen aktuellen Anlass haben, der zwar im Kern keine wesentlichen Neuerungen gebracht hat und deshalb auch für die Petition etwas getunt werden musste. Genauer gesagt wird ja bewusst der Eindruck erweckt, dass es sich um richterliche und rechtskräftige Urteile handelte. Letztlich ist es aber allein die Einschätzung der Staatsanwaltschaft im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens, die eine Verurteilung für wahrscheinlich hält – kleines Detail, aber große Wirkung und am Ende bewusste Täuschung der Initiatoren der Petition.
Andererseits passt die Plattform auf unschöne Weise in die bisherige emotionalisierende Strategie der Absender. Was man wissen muss: Change.org ist keine demokratische oder am Gemeinwohl orientierte Institution, sondern eine kommerzielle Plattform mit Sitz in den USA, die Onlinepetitionen publiziert und verbreitet – oft mit dem Ziel, viral zu gehen und damit Geld zu verdienen. Sie können dort jeden Tag tausende Petitionen gegen jeden und alles unterschreiben und initiieren.
Die Plattform vermittelt zwar den Eindruck basisdemokratischer Teilhabe, arbeitet aber ohne belastbare Verifizierung, ohne rechtsstaatliche Kontrolle und ohne redaktionelle Prüfung der Inhalte. Das Geschäftsmodell lebt von Reichweite, Aufregung, Zuspitzung, Emotionalisierung und Mobilisierung, nicht von Objektivität oder institutioneller Relevanz. Von den Früchten des Heiligen Geistes, wie sie uns in Galater 5,22 als Richtschnur mitgegeben werden, wollen wir gar nicht erst sprechen.
Gerade in Fragen diesen christlicher Ethik aber auch der kirchlichen Ordnung ist sie deshalb hochproblematisch: Die Plattform und auch die Petition tun so, als ließen sich sakramentale Ämter per digitalem Stimmungsbild legitimieren oder delegitimieren – das widerspricht dem Wesen der Kirche grundlegend, weshalb diese Vorgehensweise und Mittel klar abzulehnen sind. Dass sich Würdenträger der Kirche und bekannte Laien dieses Mittels bedienen ist schlicht beschämend.
Nicht alle Namen auf der Unterzeichnerliste sind spontan einem Kulturkreis zuzuordnen. Auf welchen Quellen lassen sich solche Umfragen bestücken?
Das ist genau auch Kernproblem. Die Unterzeichnerlisten auf Change.org sind offen zugänglich, aber nicht verifiziert. Jeder kann unterschreiben – auch mehrfach, mit Alias-Namen oder anonym, inklusive Bots. Es gibt keinerlei Filter nach Herkunft, Kirchenzugehörigkeit oder Ernsthaftigkeit der Beteiligung. Deshalb ist auch nicht nachvollziehbar, ob es sich um reale Betroffene handelt oder um orchestrierte Kampagnenakteure – mit oder ohne persönlichen Bezug zur Sache. Zudem bietet Change.org selbst Funktionen zur Bewerbung und Reichweitenvergrößerung gegen Geld an. Man kann also gezielt Sichtbarkeit kaufen. Das allein relativiert die Aussagekraft solcher „Unterschriftenzahlen” erheblich.
"Jeder kann unterschreiben – auch mehrfach,
mit Alias-Namen oder anonym, inklusive Bots"
Was fällt Ihnen aus medialer Sicht an der Initiative auf?
Die mediale Logik solcher Petitionen folgt einem Muster, das wir aus der Empörungskultur sozialer Netzwerke kennen: Vereinfachung, Moralisierung, Polarisierung. Die Petition dient weniger einer sachlichen Aufarbeitung, sondern einer symbolischen Reinszenierung von Schuld und Untragbarkeit. Dabei wird mit emotionalen Formulierungen gearbeitet – und die Tatsache, dass die kirchliche Rechts- und Entscheidungsordnung längst aktiv ist, völlig ausgeblendet.
Die Absender der Petition nehmen bewusst in Kauf, hier jedwedes Milieu anzusprechen und hineinzuziehen – vom militanten Kirchenhasser bis zum vergrämten Hobbyprotestierer, der jeden Tag irgendeine Petition unterzeichnet. Hauptsache eine möglichst große Zahl unterschreibt – letztlich nur als Vehikel, damit auch andere Medien, die ebensolche perfiden Aufregungsmechanismen und Schwarz-Weiß-Inszenierungen nutzen, darauf aufspringen, was ja auch leider immer wieder funktioniert, was dann die Initiatoren und Pfarrer Rothe in den sozialen Medien feiern – offenbar ohne Problembewusstsein.
Wo liegen aus Ihrer Sicht nach die medialen Gefahren solcher Online-Umfragen?
Solche Formate erzeugen ein Klima permanenter Delegitimation. Wenn kirchliche Ämter – oder auch Institutionen allgemein – durch Onlinepetitionen öffentlich zur Disposition gestellt werden, verschiebt sich das Vertrauen von rechtsstaatlich oder kirchlich geregelten Verfahren hin zu moralisch aufgeladenem Stimmungsdruck. Das beschädigt langfristig die Autorität, nicht nur der betroffenen Person, sondern der Institution als solcher.
Hinzu kommt die Tendenz, komplexe Sachverhalte in einfache Gegensätze aufzulösen – Täter und Opfer, Gut und Böse. Doch Kirche lebt nicht von Spaltungen, sondern von Unterscheidung, Klärung und Versöhnung. Petitionen dieser Art geben vor, Gerechtigkeit zu fordern, riskieren aber, der Gnade keinen Raum mehr zu lassen – ich erinnere nochmal an Galater 5,22. Ich wünsche mir deshalb, dass kein Katholik bereit ist, diese Art der Konfliktaustragung zu akzeptieren und sich allein aus diesen Gründen, egal welche Position man gegenüber der Person Woelki einnimmt, nicht an dieser Art der Kampagnenkommunikation beteiligt.
Hinweis der Redaktion: Zum Inhalt dieses Interviews hat die Leitung von change.org um die Berücksichtigung einer eigenen Darstellung gebeten, die wir im folgenden dokumentieren. Change.org schreibt:
Alle Unterschriften auf Change.org durchlaufen eine technische Verifizierung. So wird beispielsweise jede Unterschrift mit einer gültigen E-Mail-Adresse bestätigt. Zudem nutzen wir eine Kombination aus automatisierten Sicherheitsmechanismen und manuellen Prüfungen, um Mehrfachunterzeichnungen, Bot-Aktivitäten oder andere missbräuchliche Verhaltensweisen zu erkennen und zu unterbinden. Doppelte Unterschriften, manipulatives Verhalten oder massenhafte Alias-Namen werden regelmäßig entfernt. (...) Change.org ist eine offene Petitionsplattform. Das bedeutet, dass Personen oder auch Organisationen eigene Petitionen starten können – unabhängig von Herkunft, Religion oder politischer Gesinnung. Die Verantwortung für Inhalt und Formulierung der Petitionen liegt dabei bei den jeweiligen Initiator*innen. Im genannten Fall wurde die Petition von Dr. Dr. Wolfgang F. Rothe gestartet, einem katholischen Priester. Die Annahme, Change.org inszeniere orchestrierte Kampagnen oder bestimme Inhalte zentral, ist daher falsch. Unser Ziel ist es, zivilgesellschaftliche Anliegen sichtbar zu machen und demokratische Teilhabe zu fördern. Dabei ist Emotionalisierung kein Selbstzweck, sondern spiegelt oft das berechtigte persönliche Engagement der Petitionsstarter*innen wider.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.








