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Norwegischer Schriftsteller Jon Fosse erhält Literaturnobelpreis

Talentierter Dramatiker, Seelenstreichler, katholischer Konvertit: Jon Fosse erzählt von den existenziellen Erfahrungen des Menschseins.
Der norwegische Schriftsteller Jon Fosse
Foto: IMAGO/SAMLAGET /TOVE BREISTEIN (www.imago-images.de) | Intensität stellt eine Haupteigenschaft seines so leisen wie wundersamen Werks dar: der norwegische Schriftsteller Jon Fosse.

Mit Neo-Biedermeier hat die Entscheidung des Nobelpreiskomitees für den Autor Jon Fosse gewiss nichts zu tun. Auch wenn dies auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Denn statt von den politischen Großbaustellen und Dauerkrisen unserer Tage erzählen seine Texte von den existenziellen Erfahrungen des Menschseins.

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Seine Erzählung „Morgen und Abend“ (2000) schildert beispielsweise kurz vor dem Tod eines Fischers noch einmal dessen bewegtes und hartes Leben, sein Theaterstück „Die Nacht singt ihre Lieder“ (1997) beschreibt die überstürzte Trennung zweier Menschen, die ein erneutes Zueinanderfinden auf die am fatalsten denkbare Weise verpassen. Mit psychologischem Feingespür zeigt er seine Protagonisten zumeist vor Scheidewegen. Was sich in diesen kammerspielartigen Arrangements offenbart, ist ein für die skandinavische Textlandschaft und Literaturgeschichte durchaus typischer Naturalismus von der Tragweite eines Henrik Ibsen (zu dessen nach ihm benannten Preisträgern by the way und nicht von ungefähr ebenfalls Fosse zählt).

Einzigartiger Ton

Mit ihm, diesem auch hierzulande kanonisierten Autor, verbindet den neuen Nobelpreisträger übrigens ebenso das Talent des Dramatikers. Vertreter dieser Großgattung waren in den vergangenen Jahren – mit Ausnahme des Tausendsassas Peter Handke – sichtlich ins Hintertreffen geraten. Nobilitiert wurden (nicht minder erfreulich) Lyriker wie Louise Glück, Tomas Tranströmer oder, wenn man ihn denn überhaupt als Poeten bezeichnen mag, Bob Dylan.

Wie schon bei diesen Prämierten scheinen die Jury weniger die Themen und Sujets als vielmehr der einzigartige Ton des Norwegers zu bewegen, der zum katholischen Glauben konvertierte und auch ein Buch zum "Geheimnis des Glaubens" veröffentlichte. Die Schwermut, die wolkenhaft über zahlreichen seiner Figuren liegt – allen voran über dem Maler Lars, der in dem Roman „Melancholie“ (1996) unter der tabuisierten Liebe für ein fünfzehnjähriges Mädchen leidet –, sie berührt die Leser und bildet durchaus ein Passepartout für den Ennui unserer Tage.

Er findet sich nicht mit dem Status quo ab

Dass sich der 1959 in Haugesund geborene und heute mitunter in Oslo wohnende Fosse und seine oft am Dasein scheiternden Figuren allerdings nicht mit dem bloßen Status quo abfinden, belegt übrigens sein serielles Schreiben. Mit „Der andere Name. Heptalogie I–II“ (2019) sowie „Ich ist ein anderer. Heptalogie III–V“ (2021) übt er sich im prozesshaften Weiterfabulieren, einem Verfahren, das auch die Unabschließbarkeit der Identitätsfindung dokumentiert. So trifft etwa in ersterem Text wiederum ein Maler auf sein versoffenes, wenig schillerndes Alter Ego, wodurch ein spannungsreicher Rollenkonflikt Faust’scher Ausprägung entfaltet wird.  

Intensität stellt daher eine Haupteigenschaft dieses so leisen wie wundersamen Werks dar. Es entstammt der Feder eines Autors, der sich großer Bekanntheit erfreut und doch irgendwie immer vom Stillen und Unscheinbarem geschrieben hat. Ob sich dies nun ändern wird? Jetzt, da das er so im Rampenlicht steht, beinah davon geblendet sein dürfte? Wir hoffen es nicht und freuen uns über die Auszeichnung eines sogar mit dem französischen Ritterkreuz geadelten Nordeuropäers, der die humane Seele sprachlich wie Violinen zu streichen weiß. 

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